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1.10.2003: "Höhere Erträge durch Koscher-Zertifikat" - ECOreporter.de-Interview mit Joachim Gerhard, Pressesprecher der Nevest new energy AG

Hätten Sie"s gewusst? Die Butzbacher Nevest new energy AG produziert in ihrem Biodieselwerk Schwarzheide neben dem Fahrzeugkraftstoff beträchtliche Mengen an "koscherem" Pharmaglycerin. Wie hängen der Rapstreibstoff und das in der Industrie für unterschiedlichste Zwecke verwendbare Glycerin produktionstechnisch zusammen? Und was hat all das mit koscherer Qualität und Kontrollen durch einen eigens bestellten Rabbiner zu tun? ECOreporter.de befragte dazu Joachim Gerhard, Pressesprecher der Nevest.


ECOreporter.de: Herr Gerhard, die Nevest new energy AG stellt neben ihrem Hauptprodukt Biodiesel auch Glycerin her. Wie hängt das technisch zusammen?
Joachim Gerhard: Das ist leicht zu erklären. Beim Herstellungsprozess für Biodiesel fällt neben dem Hauptprodukt Biodiesel das Nebenprodukt Glycerin an. Beim Glycerin handelt es sich also um ein Kuppelprodukt (Anmerkg. d. Redaktion: Darunter versteht man ein Produkt, das neben dem primär angestrebten Produkt bei der Produktion zwangsläufig mit entsteht).

ECOreporter.de: Welche Mengen an Glycerin sind es und wer sind die wichtigsten Abnehmer?
Gerhard: Bei Vollauslastung der Biodieselstrecke in unserem Schwarzheider Werk, das wären 100.000 Tonnen Biodiesel pro Jahr, fallen rund 10.000 Tonnen Rohglycerin an. Dieses Rohglycerin wird in verschiedenen Schritten zu hochwertigem Pharmaglycerin veredelt. Insgesamt können in Schwarzheide bis zu 30.000 Tonnen Pharmaglycerin pro Jahr hergestellt werden. Das heißt bis zu 20.000 Tonnen Rohglycerin können wir von Dritten zukaufen und schließlich veredeln.
Diese Veredelung geschieht in einem eigenen, von der Biodieselherstellung getrennten Verfahren. Wenn Sie so wollen, besteht unsere Produktionsanlage in Schwarzheide eigentlich aus zwei Anlagen.

Wir handeln unser hochwertiges Pharmaglycerin ausschließlich über die besten Adressen in diesem Segment. So gelangt das Pharmaglycerin zu den großen europäischen Chemiebetrieben bis hin zu multinationalen Konzernen im In- und Ausland. Unser Exklusiv-Händler für den deutschen Markt ist die Firma Helm AG aus Hamburg, eines der weltweit führenden Chemiehandelsunternehmen. Im europäischen Markt arbeiten wir mit der Firma HB International aus Paris zusammen, derzeit größter Glyzerinhändler Europas. Zudem sind wir dabei, den weltweiten Handel aufzubauen und das Glyzerin ebenfalls in die USA, Kanada und Afrika zu vermarkten.

ECOreporter.de: Als ganz besondere Spezialität wird in Ihrer Anlage in Schwarzheide auch koscheres Glycerin produziert. Was muss man sich darunter genau vorstellen?
Gerhard: Koscheres Glycerin oder genauer gesagt koscheres Pharmaglycerin spielt als chemisches Vorprodukt in vielen Produkten des Endverbraucherbereiches wie Nahrungs- und Genussmittel, Körperpflege- und Kosmetikartikel eine wichtige Rolle. Die besondere Qualitätsstufe des koscheren Glycerins erreicht man nur, wenn man den Nachweis einer im wahrsten Sinne des Wortes sauberen Logistikkette eindeutig führen kann und die entscheidenden Einsatzstoffe ausschließlich rein pflanzlich sind. Ein nicht zu unterschätzender Aufwand in Logistik und Verwaltung sind also durchaus erforderlich. Rohstoffseitig ist die Sache für uns problemlos, da wir unseren Biodiesel ausschließlich aus Rapsöl herstellen. Der Einsatz von Altspeiseölen kommt für uns nicht in Frage.

ECOreporter.de: Wie kam es dazu, dass die Nevest AG sich auf die Herstellung eines solchen absoluten Nischenproduktes spezialisiert hat?
Gerhard: Dies ergab sich nach der Grundsatzentscheidung, ausschließlich Rapsöl in der Biodieselproduktion einzusetzen, automatisch. Im übrigen, auch wenn dies wenig bekannt ist, ein so ausgesprochenes Nischenprodukt ist das koschere Pharmaglycerin gar nicht. Im Gegenteil, gerade durch den Trend bei multinationalen Unternehmen der Nahrungs- und Genussmittel- wie auch der Kosmetikbranche, ihre Produkte möglichst für einen Weltmarkt zu produzieren, legen diese Unternehmen beim Einkauf ihres Glycerins zunehmend großen Wert auf die "Koscherqualität". Für den nordamerikanischen Markt ist die Koscherqualität sogar Bedingung für den Markteintritt.

ECOreporter.de: Ein Rabbi kontrolliert die Einhaltung bestimmter Vorschriften für die Herstellung des koscheren Glycerins. Können Sie uns dafür Beispiele geben?
Gerhard: Einmal jährlich müssen wir belegen, dass unsere gesamte Produktion "koscher" ist. Praktisch sieht das so aus, dass ein Rabbiner unsere Produktionsanlage in Schwarzheide besucht und diese genauestens inspiziert. Der Rabbiner überprüft dann vor Ort unter anderem die Lieferantenpapiere, die Überwachungsmaßnahmen unseres Labors und die Sauberkeit der Anlage. Aber auch unterjährig müssen wir jeden neuen Lieferanten von Rapsöl oder Rohglycerin vor der Erstbelieferung durch den Rabbiner genehmigen lassen.

ECOreporter.de: Wie wird der Produktionsprozess dieser speziellen Charge von dem des "gewöhnlichen" Glycerins getrennt? Werden die Anlagen zwischendurch gereinigt - wenn ja, wie - oder gibt es eine eigens für diesen Zweck gebaute Produktionslinie?
Gerhard: Eine gesonderte Trennung oder Reinigung ist nicht erforderlich, da aus den vorgenannten Gründen, d.h. keine Verwendung von Altspeiseölen, sämtliches von uns produziertes Glycerin koscher ist.

ECOreporter.de: Lohnt sich der Aufwand, den Sie für das koschere Produkt betreiben, auch finanziell?
Gerhard: Absolut! Auf der Kostenseite haben wir nur einige Posten zu berücksichtigen. Hierzu gehören insbesondere die Kosten für die Erlangung und Aufrechterhaltung des Koscher-Zertifikats und die Überwachungsmaßnahmen durch den Rabbiner. Dagegen können wir durch den höheren Verkaufspreis unserer besonderen Glyzerinqualität deutlich höhere Erträge erzielen als ohne Koscher-Zertifikat.

ECOreporter.de: Herr Gerhard, wir bedanken uns für das Gespräch!


Nevest new energy AG: WKN 548815


Bildnachweis: Joachim Gerhard, Pressesprecher der Nevest new energy AG - Teil der sogenannten Glycerinstrecke / Quelle: Unternehmen
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