Erneuerbare Energie

26.11.2004: Auf den Grund gegangen, Dutzende Falschmeldungen gefunden: Der Vogeltod an Brandenburger Windkraftanlagen und ein Schwarm Zeitungsenten

Ist die Windkraft in Brandenburg am Ende? Eine Meldung geisterte in dieser Woche durch die Presse. Vogelschützer hätten den Ausbau der Windkraft im Land Brandenburg erfolgreich gestoppt, hieß es. In etlichen Regionen des Landes Brandenburg dürften künftig keine Windkraftanlagen mehr errichtet werden, berichteten Zeitungen von der Berliner Morgenpost bis zum Saar-Echo. Fast alles falsch - dennoch ist die Windkraft nicht komplett freigesprochen. ECOreporter.de hat der Meldung nachgespürt, und Erstaunliches trat zutage.

Die Quelle für die meisten verbreiteten Meldungen zum Vogeltod in Brandenburg war eine Agenturmeldung von AFP. Die EU habe mit der Ausweisung von Vogelschutzgebieten der Windkraft einen Riegel vorgeschoben, hieß es darin. Als Grund wurden die Funde toter Tiere (Überschrift Berlinger Morgenpost: "Wenn seltene Vögel geschreddert werden") angegeben. 700 tote Tiere, darunter gut 60 verschiedene Vogel- und fast alle Fledermausarten (es gibt gut 20 in Deutschland), hätten Helfer des Landesumweltamtes bei sporadischen Kontrollen unter weniger als 200 Windrädern gefunden, so die Meldung.

Tobias Dürr, dem für die Zählungen zuständigen Mitarbeiter der Vogelschutzwarte Brandenburg, zufolge ist die Zahl 700 falsch. Sie ergebe sich jedenfalls nicht aus der Datenbasis des Landesumweltamtes, sagt er. Er habe sie aber auch schon in verschiedenen Publikationen gefunden. "Es kann sich nur um eine Fehlinterpretation unserer Daten handeln". Bundesweit seien zwischen 1989 und 2004 bislang insgesamt 242 tote Vögel gefunden worden. In Brandenburg allein habe man 141 tote Vögel und ca. 100 tote Fledermäuse gefunden. Das liest sich schon ganz anders.

Die Dunkelziffer sei allerdings sehr hoch, gibt Dürr zu bedenken. In manchen Bundesländern und Kreisen werde noch nicht und nur sehr unsystematisch gezählt. In Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern sei gerade erst mit systematischen Untersuchungen begonnen worden. Diese Totenfunde kämen in diesem Jahr hinzu, so dass man am Ende zu den bislang gefundenen 242 toten Vögeln voraussichtlich 200 bis 300 hinzuzählen müsse.

Im Land Brandenburg werden seit drei Jahren systematisch Kadaver an Windkraftanlagen registriert. Einbezogen in die Untersuchungen sind Dürr zufolge 252 Windräder. Bei insgesamt 1800 Windturbinen im Land ergibt das ein Quote von etwa 14 Prozent. Hier nun einfach die Zahl der gefundenen toten Tiere hochzurechnen, sei aber nicht gerechtfertigt, meint Dürr. So seien die Anlagen mit unterschiedlicher Intensität kontrolliert worden. Bestimmte Standorte seien unproblematisch, andere aber ganz schwierig. Bei den nicht frequentierten Anlagen müsse man deshalb erst genaues über deren Lage und Beschaffenheit in Erfahrung bringen, ehe man hochrechnen könne.

Aber, obwohl es sich also um eine Falschmeldung handelt: Entwarnung kann trotzdem nicht gegeben werden, und nun wird es erst recht kompliziert. Denn viele Vogelkadaver werden gar nicht registriert, weil sie Füchsen oder Raubvögeln zum Opfer fallen. Dürr führt deshalb Kontrolluntersuchungen durch, um zu ermitteln, wie viele der verunglückten Tiere wohl durchschnittlich Beute von Räubern werden, ehe die Helfer der Vogelschutzwarte sie auffinden. Die Vogelwarte legte im September und Dezember 2003 tote Eintagsküken an Windkraftanlagen aus und kam dabei zu dem Ergebnis, dass 83 Prozent der Küken nach einer Woche verschwunden waren. Greifvögel und andere Aasfresser hatten sie geholt. Lässt sich daraus bereits auf eine Dunkelziffer schließen? Andere Beobachtungen stehen dem entgegen. So betrug die durchschnittliche Liegedauer der eingesammelten Kadaver 16,7 Tage. Die Helfer der Vogelwarte fänden wohl hauptsächlich tote Tiere, die die Jäger verschmähten, vor allem Greifvögel und Füchse, erklärt Dürr.

Susanne Ihde, Diplom-Biologin und Sprecherin des Bundesverbandes Windenergie in Sachen Natur- und Artenschutz, bezweifelt, dass die in Brandenburg zum Vergleich ausgelegten Küken tatsächlich repräsentativ seien, denn Küken leuchteten mit ihrem gelben Gefieder wesentlich stärker als andere Arten und seien deshalb leichter zu erkennen für die Beutegreifer aus der Luft. Sie weist zudem darauf hin, dass man die Relationen nicht aus den Augen verlieren dürfe. Es gebe statistisch gesehen weniger als einen toten Vogel pro Windkraftanlage und Jahr. "Im Straßenverkehr sterben jährlich mehrere Millionen Vögel, auf dem Zug über Europa werden jährlich ebenfalls Millionen von Singvögeln zu kulinarischen Zwecken geschossen und in Netzen gefangen", so Ihde. Viele Tausend Vögel flögen gegen große verglaste und verspiegelte Gebäudefläche und kämen dort zu Tode. An Hochspannungsleitungen stürben jährlich ebenfalls Tausende von Vögeln. Und dann sei nicht zuletzt an die rasende Vernichtung von Lebensräumen durch die Versiegelung von Flächen für Industrie und Wohnraumbildung erinnert.

Ihde weist auf eine Studie zum Tod von Vögeln durch Windkraftanlagen im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz hin, deren Veröffentlichung für Dezember geplant ist. Ihde, Mitglied der Arbeitsgruppe für die Studie: "So viel lässt sich aber bereits jetzt sagen: Wir haben deutliche Hinweise darauf, dass die Gefährdung von Vögeln aufgrund von Windenergie geringfügig ist." Man sei zu dem Ergebnis gelangt, dass es einige Standorte gebe, insbesondere in der Nähe von Gewässern, an denen eine größere Gefährdung der Tiere vorliege. Auch seien offenbar bestimmte Arten von Greifvögeln besonders gefährdet. In solchen Bereichen seien dann sensiblere Planungen und Vorabstudien bezüglich der dort vorkommenden Arten erforderlich.

Die Zweifel an der Glaubwürdigkeit seiner Untersuchungen seitens der Windkraftverbände hält Tobias Dürr für unberechtigt. "Die Zeit, in der Vogelschlag an Windturbinen ignoriert wurde, sollte endlich vorbei sein." Sicherlich seien die Vogelverluste an Freileitungen und Glasfassaden größer. Aber durch die Windparks entstünden auch beachtliche Verluste. Dürr hält deshalb eine systematische Beobachtung der Standorte für wichtig, um zu verlässlichen Empfehlungen für die Auswahl künftiger Standorte zu kommen. An manchen Plätzen fänden sich trotz intensiver Kontrollen keine oder nur sehr wenig Kadaver. An anderen Standorten träten gehäuft Funde auf, was besorgniserregend sei. "Daraus können wir aber auch einiges ableiten für die Optimierung von Standorten", sagt er. Die toten Fledermäuse hätten sich beispielsweise zu etwa 80 Prozent an Anlagen gefunden, deren Mast sich höchstens 150 Meter von Gehölzen, Alleen oder Waldgebieten entfernt befände. Dürr fordert deshalb die Einhaltung dieses 150 Meter-Abstandes plus Rotorradius. "Daraus lässt sich ein Mindestabstand ableiten, der für Fledermäuse die Konflikte entschärft." Bei den Fledermäusen gebe es die Masse der Funde im Spätsommer und Herbst, im Anschluss an die Auflösung der Wochenstuben, wenn die Jungen flügge würden und die Weibchen ihre Brutplätze verließen.

Steht der Ausbau der Windenergie im Land Brandenburg nun still?

Das hat beispielsweise die Berliner Morgenpost in ihrer Schlagzeile behauptet. Doch auch diese Aussage ist falsch oder zumindest maßlos übertrieben. In Brandenburg gehen nach gegenwärtigem Stand insgesamt 22 Prozent der Landesfläche in die Special Protected Areas (insgesamt 27 Gebiete) ein. Der Ausbau auf Windvorrangflächen, die sich mit den IBA nicht überschneiden, bleibt unberührt. Auf den Internetseiten des brandenburgsichen Agrar- und Umweltministeriums heißt es, einige wenige durch die Regionalplanung ausgewiesene Windeignungsgebiete befänden sich innerhalb der vorgesehen Vogelschutzgebiete. Durch die Meldung als Vogelschutzgebiet wird die Veränderungssperre innerhalb von faktischen Vogelschutzgebieten aufgehoben. Das heißt im Klartext, dass für Windkraftanlagen eine Verträglichkeitsprüfung erforderlich ist. Maßgeblich sei hier, "ob die Errichtung der Windkraftanlagen dazu führen könne, dass ein Gebiet seine Funktionen in Bezug auf die für die konkrete Meldung des Gebietes geschützten Vogelarten nicht mehr oder nur noch in deutlich eingeschränktem Umfang erfüllen könne."

Die EU weist die Important Bird Areas, oder neuerdings SPA (Special Protection Area), aufgrund von Listen zu schützender Arten, Angaben der Bundesländer hierzu sowie nach Anhörung von Non Government Organsiationen aus, in diesem Falle der Birdlife International. Für Brandenburg liegen neben den offiziellen Daten des Landesumweltamtes auch Ergebnisse von Zählungen diverser Vogelschutzverbände vor. Die EU hat nun in Brandenburg Siedlungs-Gebiete von 19 Arten, darunter vor allem Groß- und Greifvögel wie Schwarzstorch, Seeadler und Roter Milan, als IBA deklariert.

"Die Ausweisung als IBA aber schließt Investitionen in diesen Gebieten nicht aus", sagt Jens-Uwe Schade, Pressesprecher des brandenburgischen Agrar- und Umweltministeriums in Potsdam. Windkraftanlagen könnten, ähnlich wie bei Gebieten, die nach Flora- und Fauna-Habitat ausgewiesen sind, bei Vorlage von Gutachten genehmigt werden, bei denen eine Verträglichkeit mit dem durch die Richtlinie geschützten Gut nachgewiesen sei - in diesem Fall also mit dem Bestand der geschützten Arten. (Hintergründe werden auf den Internetseiten des Agrar- und Umweltministeriums Brandenburg erläutert.)

Allerdings: In einer Sachstands-Information geht das Landesumweltamt davon aus, "dass eine Vereinbarkeit zwischen Windkraftanlagen in Vogelschutzgebieten grundsätzlich nicht gegeben ist und demnach neue Windkraftanlagen nicht mehr zulässig sind." Dabei handelt es sich laut Dokument jedoch zunächst nur um "Aussagen aus dem MLUV" (Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz) zum Thema.

Fazit: Davon, dass, wie die Berliner Morgenpost berichtete, "Vogelschützer den Ausbau der sauberen Energiequelle (Windkraft) mit Hilfe der EU erst einmal gestoppt" haben, kann keine Rede sein.

Bild: Der Rote Milan, ein offenbar besonders häufiges Opfer von Windkraftanlagen / Quelle: Deutsche Bundesstiftung Umwelt
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