7.3.2003: Chancen und Trends der weltweiten Einführung Erneuerbarer Energien

Von Hermann Scheer - Es ist möglich, die konventionelle Energieversorgung durch Erneuerbare Energien vollständig zu ersetzen. Dies ergibt sich aus dem überwältigend großen natürlichen Potenzial. Die entscheidenden Fragen sind damit die nach dem mit technischer Hilfe tatsächlich mobilisierbaren Potenzial und danach, welche Investitionsanstrengungen und weiteren Voraussetzungen nicht technischer Art erforderlich sind, um aus dem umfassenden Primärenergiepotenzial ein ausreichendes Nutzenergiepotenzial werden zu lassen.

Energiebereitstellung aus Erneuerbaren vs. konventionellen Energieträgern

Um diese Fragen zu beantworten, gibt es inzwischen zahlreiche Energieszenarien, die in der Regel den Zeitraum bis zum Jahr 2050 zu erfassen versuchen. All diese haben jedoch einen fragwürdigen wissenschaftlichen Stellenwert, da sie die wissenschaftlichen Möglichkeiten zu wirtschaftlichen Prognosen überstrapazieren und überwiegend den energiesystematischen Unterschied in der Energiebereitstellung zwischen konventioneller Energie und Erneuerbareren Energien übersehen. Dieser systemische Unterschied ergibt sich daraus, dass Erneuerbare Energien weniger infrastrukturabhängig sind als atomare und fossile Energien. Denn der Energieverbrauch ist immer dezentral, also dort wo die Menschen arbeiten und leben.
Die Energieförderung atomarer und fossiler Energien findet jedoch an vergleichsweise wenigen Plätzen des Erdballs statt, wo die Energiereserven vorhanden sind. Die Quellenlage ist also von vornherein "zentral". Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Bereitstellungskette, die zwangsläufig wegen der Transporterfordernisse in starkem Maße internationalisiert ist und für die zahlreiche unterschiedliche Techniken erforderlich sind (Förder-, Aufbereitungs-, Transport-, Lager-, Verteilungs- und Entsorgungstechnik).
Erneuerbare Energien sind demgegenüber größtenteils natürliche Umgebungsenergien. Sie können in den Regionen mit technischer Hilfe geerntet und umgewandelt werden, wo der Energieverbrauch ohnehin stattfindet. Die eigentliche Primärenergie kostet nichts. Ausnahmen davon sind die Wasserkraft, sofern Staudämme dafür erforderlich sind, sowie die Biomasse, hinter der land- und forstwirtschaftliche Arbeit für die Bereitstellung der Primärenergie sowie für Energieaufbereitungsarbeiten steht. Bei allen anderen Erneuerbaren Energien entfallen die Primärenergiekosten und größtenteils auch der Infrastrukturaufwand für deren Bereitstellung. Außerdem können die Transport- und Verteilungskosten gering gehalten werden oder entfallen - z.B. bei der solarthermischen Energienutzung in Gebäuden - sogar vollständig.

Das ökonomische Rational der Erneuerbaren Energien

Das besondere ökonomische Rational der Erneuerbaren Energien ist infolgedessen, dass - eine Produktivitätssteigerung durch technische Anlagenentwicklungen und durch Kostendegression in der Anlagenproduktion erfolgt, je größer ihre Einführungs- und Anwendungsbreite wird; - herkömmliche Kosten der Energiebereitstellung vollständig oder teilweise verdrängt werden können, je mehr sich die Anwendungstiefe entwickelt. Es geht bei Erneuerbaren Energien im Wesentlichen um technische Entwicklung für die industriell-gewerbliche Mobilisierung. Die Initialkosten für die technische Energieumwandlung in den Anlagen sind, besonders am Anfang ihrer Einführung, relativ höher als bei konventionellen Kraftwerken. Dagegen sind die (anteiligen) Infrastrukturkosten geringer oder entfallen ebenso wie die laufenden Primärenergiekosten. Wer diese Unterschiede nicht beachtet und sich auf Investitionskostenvergleiche von Kraftwerkskapazitäten für die jeweiligen Energieträger beschränkt, der hat die Ökonomie Erneuerbarer Energien und ihre Funktionsweise nicht verstanden. Wirtschaftliche Systemvergleiche sind in vielen Wirtschaftsbereichen übliche Praxis, z.B. bei Fluggesellschaften, die nie nur die Stückkosten eines Fluggeräts kalkulieren. Nur im Bereich der Energie-Ökonomie sind sie selten anzutreffen.

Sonderfall Biomasse

Der Ausnahmefall der Energiepflanzen stellt sich auch in anderer als der bereits genannten Hinsicht. Hier muss zwingend differenziert werden zwischen so genannten landwirtschaftlichen Reststoffen, also forstwirtschaftlichen und organischen Abfällen und solchen Energiepflanzen, die eigens angebaut werden müssen. Die Nutzung der Reststoffe erhöht die Produktivität in der Land- und Forstwirtschaft, da dadurch wirtschaftliche Sekundäreffekte erzielt werden. Dieses Potenzial ist enorm hoch und entspricht vor der Nutzung weltweit etwa der Hälfte der Jahreserdölförderung, wie auf der 12. Europäischen Biomassekonferenz vom 17. bis 21. Juli 2002 in Amsterdam dargestellt wurde. Bei eigens angebauten Energiepflanzen muss unterschieden werden zwischen den extrem differierenden Hektarerträgen verschiedener Pflanzen, also den Anbaukonzepten und Pflanzensorten, und der Frage, ob eine energetische Ganz- oder Teilpflanzennutzung erfolgt.
In Betracht zu ziehen ist auch, ob Düngemittel und/ oder Schädlingsbekämpfungsmittel erforderlich sind, welche energetische Umwandlungsmethode gewählt wird und welche wirtschaftlichen Sekundäreffekte wiederum aus den Reststoffen der Energieumwandlung erzielt werden können (z.B. bei der Verwendung der entgasten Gülle oder vergaster Biomasse als Düngemittel, des Ölkuchens nach der Ölpresse als Tierfutter oder der Schlempe nach der Vergärung von Pflanzen zu Bioalkohol als Tierfutter und Düngemittel). Hinzu kommt, dass bei vielen Energiepflanzen mehrfache Ernten im Jahr möglich sind. Aus all dem ergibt sich, dass je nach Pflanzenart, Anbau- und Umwandlungskonzept die Hektarerträge um den Faktor 100 oder mehr auseinanderliegen können. So hat Rapsöl hierzulande einen Hektarertrag von 1,5 t, abzüglich des für die Bereitstellung erforderlichen Energieaufwandes ist es 1 t, aber unter Außerachtlassung des Rapsstrohs. Demgegenüber haben schlichte Gräser, die mehrfach geerntet werden können, Hektarerträge bis zu 100 t und Wasserhyazinthen in den tropischen Regionen bis zu 400 t.

Grenzen pauschaler Potenzialanalysen

Dies alles zeigt die Grenzen pauschaler Potenzialanalysen und den begrenzten Aussagewert von Szenarien über den künftigen Beitrag Erneuerbarer Energien an der Energieversorgung bzw. des Substitutionspotenzials durch Erneuerbare Energien. Wer Rapsöl als Referenz für die Biomasse insgesamt nimmt, muss zwangsweise zu restriktiven Annahmen kommen und eine Flächenkonkurrenz zur Nahrungsmittelerzeugung behaupten. Damit ist aber der restriktivste Fall der energetischen Pflanzennutzung unterstellt. Nimmt man demgegenüber die hohen Faktoren an, lässt sich unschwer beschreiben, wie sogar der gesamte Energiebedarf der Menschheit allein mit Bioenergie gedeckt werden könnte. Bei anderen Erneuerbaren Energien, bei denen es in erster Linie um die Technikmobilisierung geht, liegt die Willkür der üblichen Szenarien darin, dass es schlechterdings für keinen Techniker oder Ökonomen seriös möglich ist, den technischen Entwicklungsstand und die Kosten produzierter Technologien in kommenden Jahrzehnten vorauszusagen. Eine solche Prognosefähigkeit widerspricht jeder geschichtlichen Erfahrung, zumal es sich bei den Techniken zur Nutzung Erneuerbarer Energien um noch junge handelt, die noch jahrzehntelange technische Reife- und Kostensenkungsprozesse vor sich haben.

Erfahrungen der Einführung fossiler Energien sind auf Erneuerbare Energien nicht übertragbar

Die strukturellen Unterschiede zwischen Erneuerbaren Energien und der atomar/fossiler Energiebereitstellung bedeuten gleichzeitig, dass die bisherigen Erfahrungen über die Einführung neuer Energieträger nicht auf Erneuerbare Energien übertragbar sind. Eine gängige These lautet, abgeleitet aus den Erfahrungen der Einführung der Kohle, des Erdöls, des Erdgas oder der Atomenergie, dass ein neuer Energieträger Einführungszeiträume von bis zu 50 Jahren braucht, bis er sich mit einem Marktanteil von 10 % etabliert hat. Diese Erfahrungen stützen sich auf solche Energien, die leitungsgebunden sind und deshalb eine entsprechende weiträumige Transportinfrastruktur brauchen, und für deren Großanlagen (Kraftwerke, Raffinerien) lange Bauzeiten erforderlich sind. Da Erneuerbare Energien diesen Bedarf nicht haben - außer, wenn es um den Energieträger Wasserstoff geht - und die Anlagen sehr schnell installiert sind, könnte die Einführung Erneuerbarer Energien wesentlich schneller erfolgen. So wurden alleine im Jahre 2001 in Deutschland 2600 MW Windkraftkapazitäten installiert. Eine Windkraftanlage ist an einem Tag aufgestellt, ein Großkraftwerk vielleicht in zehn Jahren. Jede einzelne Anlage eines Windparks kann auch für sich arbeiten, ein Großkraftwerk kann die erste Kilowattstunde erst produzieren, wenn die Gesamtkapazität erstellt ist. Man kann also mit Erneuerbaren Energien maßgeschneidert nach aktuellem Energiebedarf planen. Die Gefahr des Aufbaus von Überkapazitäten besteht kaum.
Die Einflussgrößen für die Mobilisierung liegen zum einen in den Energiemarktordnungen, was bedeutet, dass sie mit politischer Hilfe aufgehoben werden müssen. Sie liegen zum anderen darin, dass für die Einführung Erneuerbarer Energien ein relativ breites öffentliches Informationsniveau gegeben sein muss, also eine entsprechende "human capacity" erforderlich ist. Da es sich bei Erneuerbaren Energien größtenteils um viele dezentrale Anlagenmodule handelt, ergibt sich daraus ein Strukturwandel von wenigen großen Energieanbietern zu zahlreichen kleinen. Die Vielfalt der Betreiberform für Erneuerbare Energien setzt aber voraus, dass viele Menschen darüber informiert und dafür ausgebildet sein müssen, vor allem im Bereich des Ingenieurwesens, der Architektur, des Handwerks. Wegen dieses Defizits werden zahlreiche Erneuerbare Energieprojekte in Entwicklungsländern nicht weitergeführt, und Exportaussichten bleiben weit unter ihren Möglichkeiten - selbst da, wo sogar der Kostenvergleich zu konventionellen Energien schon längst für die Erneuerbaren Energien spricht.

Nutzung und Potenziale der Erneuerbaren Energien

Weitgehend genutzt ist die (geographisch begrenzte) Möglichkeit, Wasserkraft aus Staukraftwerken zu gewinnen. Diese "alte" Erneuerbare Energie stand sogar am Beginn der Stromgeschichte. Sie ist mit Großeingriffen in die regionale Geographie verbunden und - siehe der gerade im Bau befindliche Drei- Schluchten-Staudamm in China - auch sehr umstritten. Demgegenüber zurückgegangen ist die Nutzung der Kleinwasserkraft, weil sich der Trend zu Großkraftwerken in früheren Jahrzehnten durchgesetzt hat. Das zusätzlich erschließbare Potenzial der Kleinwasserkraft dürfte aber weltweit ebenso groß sein wie das erschlossene Potenzial an Großwasserkraft. Vielversprechend sind neue Techniken zur Wasserkraftnutzung, die auch unter Wasser - analog zur Nutzung der Windströme in der Windkrafttechnik - die Strömungen energetisch nutzen.

Frontrunner Windenergie

Am schnellsten entwickelt sich gegenwärtig die Windkraftnutzung. Gegen Ende des Jahres 2001 waren weltweit mehr als 30.000 MW installiert, was etwa einer Verzehnfachung seit Beginn der Neuzigerjahre entspricht. Damit verbunden waren Kostensenkungen um etwa 40 %. Ein Drittel der weltweiten Windkraftleistung wurde in Deutschland installiert - eine eindeutige Folge des Stromeinspeisegesetzes für Erneuerbare Energien von 1991 und des Nachfolgegesetzes, des Erneuerbare- Energien-Gesetzes (EEG) aus dem Jahr 2000. Die deutschen Einführungserfahrungen schüren die weltweite Neugier.
Die Argumente sind praktisch widerlegt, dass das fluktuierende Windenergieangebot nicht kompatibel sei mit dem Netzbetrieb und seinem Netzmanagement. Frankreich hat ein 3.000 MWEinführungsprogramm gestartet, in den USA gibt es ambitionierte Ausbaupläne, mit großen jährlichen Zuwachsraten steht Spanien gegenwärtig weltweit an dritter Stelle, gemessen an den eingeführten Kapazitäten.
Vor allem die Länder zeigen Interesse, die über exorbitant gute Windverhältnisse verfügen, wie etwa Marokko und Ägypten. Man kann davon ausgehen, dass es in den nächsten zehn Jahren unerwartete Steigerungsraten in der Windenergienutzung geben wird, und zwar auf allen Kontinenten. Dies gilt besonders für die Länder, die einen rasch wachsenden Strombedarf haben, und die an die Grenzen des konventionellen Kraftwerksausbaus stoßen: Die härteste Grenze ist der Wasserbedarf für Kondensationskraftwerke, wozu praktisch alle Großkraftwerke einschließlich der Atomkraftwerke gehören. Der Wasserbedarf in einem Kondensationskraftwerk liegt bei über 2 l pro erzeugter Kilowattstunde. Die Zahl der Länder, etwa im Mittelmeerraum, wird größer, in denen die Wasserkrise ernste Ausmaße annimmt. Mit der Windkraft kann Strom erzeugt werden, ohne dafür Wasser verbrauchen zu müssen.
Zu den Ländern, die die besten Grundvoraussetzungen für eine breite Einführung der Windkraft haben, gehören vor allem diejenigen, in denen es schon erhebliche Wasserkraftpotenziale gibt. Dies gilt für China ebenso wie für Brasilien. Für beide Länder kann beispielhaft vorgerechnet werden, dass eine Kombination vorhandener Wasserkraftpotenziale mit Windkraftnutzung in wenigen Jahren eine vollständige Stromversorgung mit Erneuerbaren Energien ermöglichen könnte. Wasserkraft aus Staudämmen und die Windkraftnutzung ergänzen einander optimal, weil Wasserkraftwerke als Leistungsreserve sekundenschnell verfügbar sind, ohne ständig Dampf in Kondensationskraftwerken vorhalten zu müssen, um so auf Lastschwankungen reagieren zu können.
Hinzu kommt, dass Windenergie eine große Anwendungsbreite ermöglicht, die bisher nur bruchstückhaft praktiziert worden ist. Dazu gehört nicht nur das Offshore-Potenzial, also Windkraftanlagen in Flachküstengewässern, wie sie in Dänemark schon installiert worden sind. Die Einführung des Offshore-Potenzials hat sich, entgegen den Erwartungen noch vor wenigen Jahren, etwas verzögert, weil die technischen Schwierigkeiten dabei unterschätzt wurden. Man kann nicht genau dieselben Windkraftanlagen auf See installieren wie auf dem Festland. Die Installation und die Wartung dieser Anlagen ist kostenintensiver, und auch der Leitungsbau zu den Übertragungsnetzen auf dem Festland ist ein zusätzlicher Kostenfaktor. Dennoch wird nach den ersten Anfängen das Offshore- Potenzial sehr schnell beträchtliche Größenordnungen erreichen können. Daneben gibt es aber auch viele weitere Anwendungen der Windenergie, die hoch interessant sind. Dazu gehören so genannte Hybridanlagen, also die Koppelung einer Windkraftanlage mit einem angeschlossenen Motorkraftwerk, das mit Bio-Kraftstoff betrieben wird. Eine solche Hybridanlage ist in der Lage, rund um die Uhr Strom anzubieten: Wenn der Wind nicht weht, schaltet sich das Motorkraftwerk ein, um eine vollständig autonome Stromversorgung zu ermöglichen, ohne vom Netzbetrieb eines Stromversorgungsunternehmens abhängig zu sein. Dies eröffnet erhebliche Potenziale zur Kostensenkung, weil der über die Stromerzeugung hinaus gehende Bereitstellungsaufwand verdrängt werden kann.
Eine bedeutungsschwangere Anwendung der Windkraft ist die Meerwasserentsalzung. Dies gilt insbesondere für die Länder mit geringen natürlichen Wasserreserven, aber mit Meeresküsten - also für zahlreiche Entwicklungsländer. Bei der Meerwasserentsalzung ist es möglich, Windkraft sogar ohne Netzbetrieb zu nutzen. Die Speicherung ist das Wasserbecken, von dem aus dann die Wasserversorgung organisiert wird. Ein kontinuierlicher Betrieb dieser Windkraftanlage ist nicht notwendig, so dass also die Kosten für eine Leistungsreserve entfallen. Gerade die Entwicklungsländer, die erhebliche volkswirtschaftliche Belastungen durch den Import von Erdöl haben, können durch diese Möglichkeit der Wasserproduktion Devisen in erheblichem Maße einsparen. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit der Windkraft, die ebenfalls unabhängig vom Netzbetrieb erfolgt, ist die Erzeugung von Wasserstoff durch eine an die Windkraftanlage unmittelbar angeschlossene Elektrolyse, mit der Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten wird. Bei Wasserstoff ist viel zu lange nur daran gedacht worden, diesen aus solaren Großkraftwerken in besonders von der Sonne begünstigten Regionen der Welt zu produzieren, etwa in der Sahara. Die dezentrale Wasserstofferzeugung aus Windkraft kann sehr viel schneller interessant werden, als gegenwärtig viele denken. Der Grund ist die damit verbundene Möglichkeit, Bio- Kraftstoffe durch eine Synthetisierung von pflanzlichen Kohlenstoffen mit Wasserstoff herzustellen, um daraus Bio- Benzine zu gewinnen. Damit erspart man sich eine umfängliche Wasserstoffinfrastruktur und erhält eine breit gestreute regionale Treibstofferzeugung. Übersehen worden ist bei der Entwicklung der Windtechnik in den letzten 15 Jahren die technische Optimierung von kleinen Windkraftanlagen. Die Gründe dafür liegen darin, dass zu Beginn der Entwicklung in Dänemark und Deutschland die praktische Windkraftnutzung dort ausgebaut wurde, wo der Windstrom in die Stromnetze eingespeist werden konnte. Bei der Netzeinspeisung von Windstrom ist evident, dass Kostendegressionen durch immer größer werdende Windkraftanlagen versucht wurden.
Hinzu kommt, dass durch größere Windkraftanlagen die Auseinandersetzungen um die Zahl der Windkraftstandorte abnehmen. Dies ist letztlich auch der Grund, warum sich die Windkraftindustrie in Deutschland zunehmend darauf konzentriert, über das so genannte Repowering Windkraftanlagen mit noch kleiner Leistung von etwa 200 oder 500 kW, die am Anfang der Entwicklung in den Neunzigerjahren überwiegend installiert wurden, zu ersetzen durch größere Anlagen bis zu Leistungen von 5 MW. Es gibt jedoch noch zahlreiche Gebiete in den Entwicklungsländern, die keinen Anschluss an ein Stromnetz haben, und bei denen die Verfügbarkeit von Strom im Inselbetrieb gewährleistet werden muss, wo kleine Windkonverter ein großes Nachfragepotenzial haben. Dieses wurde bisher überwiegend diskutiert im Zusammenhang mit der so genannten fotovoltaischen Dorfversorgung, aber seltener im Zusammenhang mit kleinen Windkonvertern.

Fotovoltaik: größte Anwendungsbreite

Auch wenn man davon ausgehen muss, dass im nächsten Jahrzehnt unter den Erneuerbaren Energien die Windkraft allen anderen voraus eilen wird, ist jedoch die potenziell vielseitigste Stromerzeugungsmöglichkeit mit Erneuerbaren Energien die direkte Umwandlung von Sonnenlicht in Strom - also die Fotovoltaik. Die Jahresproduktion von Fotovoltaikmodulen liegt weltweit gegenwärtig bei etwa 300 MW Leistung. Die Gesamtinstallation liegt noch bei knapp unter 2.000 MW. In der Umsetzung liegt Japan vor Deutschland.
Die Frage nach der Marktentfaltung der Fotovoltaik wird unzulänglich beantwortet, wenn man bei dieser Technik an das klassische Muster denkt, also der separierten Stromerzeugung für das Stromnetz, aus dem dann der Strombedarf abgerufen wird. Die große Chance der Fotovoltaik liegt in der autonomen Stromerzeugung in Häusern und Geräten. Es gibt schon Beispiele, wo allein mit Hilfe der Fotovoltaik die vollständige Energieversorgung von Häusern übernommen werden kann. Dabei wird der eigen erzeugte Strom nicht nur für die Lichtanlagen und Hausgeräte genutzt, sondern auch für den Betrieb von Wärmepumpen eingesetzt, mit denen die Heizenergie aus der Erde unter und um das Haus herum gewonnen wird.
Die nachträgliche Installation von Solarmodulen auf Dächern war der Anfang. Die Zukunft wird davon geprägt sein, dass komplette Dächer und Hausfassaden zugleich auch Solarmodule zur Stromerzeugung sind. Dies ergibt wiederum völlig neuartige Kostensenkungspotenziale, weil die Kosten für die Bedachung von Häusern oder für die Hausfassaden ohnehin aufgebracht werden müssen und deshalb von den Kosten für die Fotovoltaikmodule abgezogen werden müssen. Dies ist besonders interessant für die sich immer mehr verbreitende Glasarchitektur. Eine Netzanbindung ist bei diesen Häusern eigentlich nur noch notwendig, um den Überschussstrom im Sommer in das Netz einzuspeisen und durch den erzielten Einspeisetarif die wirtschaftliche Produktivität des Systems zu erhöhen. Künftig wird sich - im Zusammenhang mit der Entwicklung neuartiger dezentraler Stromspeichertechniken - die vollständige autonome Stromerzeugung ohne Netzanbindung durchsetzen.

Gebäude als Hauptfeld solarer Energienutzung

Der größte Anteil von Energie, der durch Erneuerbare Energien substituiert werden muss, ist im Bereich des Energiebedarfs für Gebäude zu sehen. Der direkte Energieverbrauch in Gebäuden - sei es im Norden mehr für Heizung und im Süden mehr für Kühlung - liegt in fast allen Ländern zwischen 30 und 40 %. Perspektiven für Erneuerbare Energien vermittelt hier die Solare Architektur, die das Haus insgesamt als Solarkollektor sieht und entsprechend entwirft. Die Fortschritte, die in den letzten Jahren hierbei gemacht wurden, sind spektakulär; sie sind dokumentiert in den Konferenzbänden der 4., 5. und 6. Europäischen Konferenz für Solarenergie in Architektur und Stadtplanung 1996 in Berlin und 1998 und 2000 in Bonn. Mittlerweile gibt es schon Fertighausangebote, deren Häuser vollständig mit Erneuerbaren Energien versorgt werden können. Das große Problem ist allerdings, dass hier Erkenntnisse und Praxis im weltweiten Maßstab extrem auseinander klaffen. Diese Lücke ist nur durch eine Informationsoffensive für Bauherren überwindbar und durch eine Umorientierung der Architekten-, Bauingenieur- und Handwerksausbildung hin auf das Solare Bauen. Deshalb verläuft die Realisierung der Chancen im Moment noch mühsam. Aber besonders in den Ländern, in denen die Energiekosten im Gebäudebereich schon besonders hoch sind, ist das Interesse am Solaren Bauen leicht mobilisierbar.
Ein zweiter Anwendungsbereich der Fotovoltaik ist noch wesentlich vielfältiger als der in und an Gebäuden: die Integration in Elektrogeräten, so dass diese ganz oder teilweise den von ihnen verbrauchten Strom selber produzieren können. Es geht dann sogar um die Möglichkeit, auf einen Stromanschluss verzichten zu können. Die bekannteste Anwendungsform dafür ist der Taschenrechner, der schon längst weltweit populär ist. Diese Anwendungsmöglichkeit wird aber darauf nicht beschränkt bleiben. Außerhalb des Starkstrombereichs ist jedes stromverbrauchende Gerät dafür geeignet - vom Handy bis zum Notebook, von der Taschenlampe bis zum Kühlschrank. Es ist vorwiegend die Intelligenz der Industrie, die hierzu gefragt ist, und deren Entwicklungsabteilungen sich noch nicht ausreichend mit der Perspektive einer neuen Generation von Elektrogeräten befasst haben. Dies ist umso auffälliger, als diese Anwendung der Fotovoltaik kabelfreie Geräte für Benutzer attraktiver und komfortabler macht.
Die bisherigen Beispiele behandelten den Stromsektor. Die Liste der technischen Optionen, aus Erneuerbaren Energien Strom zu gewinnen, sind damit nicht erschöpft. Weitere Optionen sind solarthermische Großkraftwerke im Sonnengürtel des Erdballs, Wellenkraftwerke oder auch die Stromerzeugung aus Biomasse. Aber es gibt plausible Gründe, dass die Hauptoptionen bei der Wasserkraft, der Windkraft und der Fotovoltaik liegen. Das immens große Potenzial der Solarwärme ist nämlich vorwiegend für den Bereich der Gebäude interessant, und das Potenzial der Biomasse vor allem im Bereich der Treibstoffe für Kraftfahrzeuge.

Kraftstoffe aus Erneuerbaren Energien: eine breite Vielfalt

Auf dem Sektor der Treibstoffe gibt es derzeit eine oberflächliche Diskussion, die mit der Unterschätzung des Potenzials der Bio-Kraftstoffe eng zusammenhängt. Die Mineralölindustrie setzt zunächst auf Erdgas als Ergänzung beziehungsweise Alternative zu Treibstoffen aus Erdöl, um dann perspektivisch Wasserstoff als Möglichkeit ins Visier zu nehmen. Beide Optionen befriedigen nicht. Die Fernperspektive des Wasserstoffs ist fragwürdig, wenn darunter verstanden wird, diesen als unvermischten Energieträger - also in reiner Form - einzusetzen. Die damit verbundenen Komplikationen und Kosten werden in der Regel nicht beachtet, was dann aber spätestens im Falle konkreter Investitionen geschehen müsste. Die Frage nach der wirtschaftlichen Adaptionsfähigkeit eines neuen Energieträgers ergibt sich nicht zuletzt daraus, wie viel Umwandlungsschritte notwendig sind, um von einer Primärenergie zur eigentlichen Nutzenergie zu kommen. Bei Wasserstoff wären das mindestens drei Umwandlungen: zunächst die Umwandlung einer erneuerbaren Energiequelle in Strom; dem müsste die elektrolytische Wasserstofferzeugung mit Hilfe dieses Stroms folgen; diesem Schritt wiederum müsste die Verflüssigung des Wasserstoffs folgen, um diesen über weite Strecken transportfähig zu machen.
Letzteres bedeutet, dass man diesen Wasserstoff auf -253°C kühlen muss, was mit erheblichen Energieverlusten verbunden ist. Darüber hinaus wäre eine weltweit umspannende völlig neue Infrastruktur zur Bereitstellung dieses Wasserstoffes nötig.
Diesen Ansatz müsste man nur dann empfehlen, wenn es keine andere Möglichkeit für Treibstoffe aus Erneuerbaren Energien gäbe - und auch keine andere Möglichkeit zur Wasserstoffgewinnung. Diese gibt es aber. Nach allen, dem World Council for Renewable Energy vorliegenden Berechnungen (v. a. nach den Studien des englischen Biomasse- Wissenschaftler David O. Hall für die FAO) reichen die tatsächlichen Potenziale der Bio-Energie durchaus aus, um die gesamten fossilen Treibstoffpotenziale ablösen zu können. Diese Biomasse-Potenziale verfügbar zu machen, ist wesentlich weniger aufwendig als die vorher beschriebene Wasserstoffoption. Die potenzialträchtigsten Treibstoffe für die Zukunft, die die fossilen Treibstoffe ablösen können, sind biosynthetische Kraftstoffe oder Bio-Ethanol. Bei ersteren gäbe es in jedem Fall eine Vermischung mit zusätzlich erzeugten Wasserstoff, um das Potenzial strecken zu können. Voraussetzung für die kostengünstige Bereitstellung von Wasserstoff wäre in diesem Fall die ortsnahe Erzeugung des Wasserstoffs, unmittelbar am Ort der Biotreibstofferzeugung selbst.
Diese Optionen erfordern einen wesentlich geringeren Infrastrukturaufwand und weniger Energieumwandlungsschritte. Wir rechnen damit, dass diese Treibstoffe sich durchsetzen werden. Ansätze dafür gibt es in einer ganzen Reihe von Ländern, und die Motoren bzw. Kfz-Industrie hat zudem Interesse daran entwickelt.
Erfolgreiche Erfahrungen, aus denen man lernen kann, gibt es schon in einer ganzen Reihe von Ländern. Beispiele dafür sind das Bio-Alkoholprogramm in Brasilien, das in den Zeiten der Ölkrise in den Siebzigerjahren gestartet wurde: Etwa 25 % des dortigen Treibstoffbedarfs für Kraftfahrzeuge wird inzwischen von Bio-Alkohol aus Zuckerrohr gestellt, und dieser Sektor trägt sich bereits wirtschaftlich selbst, obwohl es sich nicht einmal um den neuesten Stand der Technik handelt. Auch in Schweden gibt es bereits hervorragende Erfahrungen: Mehrere Städte lassen ihre Nahverkehrsbusse schon mit Bio-Alkohol betanken, der in diesem Fall in erster Linie aus den Stoffen der Holzernte gewonnen wird statt aus Zuckerpflanzen. Die Steuerbefreiung für Bio-Kraftstoffe, die in Deutschland im Juni 2002 zum Gesetz wurde, wird demnächst wahrscheinlich auch in einer europäischen Richtlinie stehen. Zumindest hat das Europäische Parlament bereits die vollständige Steuerbefreiung für Bio-Kraftstoffe für einen Zeitraum von sechs Jahren gefordert. Wenn danach eine Besteuerung beginnt, muss das nicht problematisch sein - solange gewährleistet ist, dass die Bio-Treibstoffe billiger sind als die fossilen. Die Steuerbefreiung ist gegenwärtig die Bedingung, damit Produktionsanlagen geschaffen werden. Vermutlich wird die Diskussion über die Bio-Treibstoffe also sehr bald breite öffentliche Aufmerksamkeit finden.

Empfehlungen des Weltrats für Erneuerbare Energien

1. Eine Internationale Agentur für Erneuerbare Energien zu errichten, die die Regierungen bei der Einführung Erneuerbarer Energien berät und Bildungs- und Trainingsdienstleistungen zum Aufbau von entsprechendem Humankapital anbietet.
2. Einen ungehinderten und zollfreien internationalen Handel mit Anwendungstechnologien für Erneuerbare Energien sowie Einspar- und Effizienzverfahren.
3. Einen weltweiten technischen und Qualitätsstandard für Erneuerbare Energien.
4. Neue globale Energiestatistiken einzuführen, die auch die Substitution von kommerziellen Energien durch nichtkommerziell gehandelte Erneuerbare Energien - z.B. im Bereich der Solaren Architektur oder bei unabhängigen Energieversorgungssystemen - mit einschließt.
5. Dass sich alle Mitgliedsstaaten der Klimarahmenkonvention zur massiven Förderung von Erneuerbaren Energien verpflichten.
6. Einem schrittweisen Auslaufen von Subventionen für nukleare und fossile Energien zuzustimmen.


Quelle: Solarzeitalter 4/2002 / ECOreporter.de veröffentlicht diesen Beitrag mit freundlicher Erlaubnis von Eurosolar
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