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Als Nachruf auf Ulrich Beck: "Die Ökologiebewegung braucht grünen Machiavellismus"
Ulrich Beck ("Risikogesellschaft") gilt als größter Soziologe seiner Generation. Er starb am 1. Januar 2015 im Alter von 70 Jahren. Als Nachruf veröffentlicht ECOreporter ein Interview, das ECOreporter-Chefredakteur Jörg Weber 1994 mit ihm in seinem Universitätsbüro in München führte. In der Rückschau erweisen sich auch Becks spontane Äußerungen von vor fast 21 Jahren als geniale Pinselstriche des Bildes einer modernen ökologischen Bewegung.
Weber:Welche „sinnstiftende“ Rolle könnte in dieser Zeit der Unsicherheit der Ökologie zukommen?
Ulrich Beck: Mit dem Zusammenbruch der Ost-West-Ordnung sind wir in hochpolitische Zeiten gerutscht, auch was die ökologische Frage betrifft. Das ist meine zentrale These: Es gibt nicht mehr CDU, SPD, die Grünen, die Bundeswehr. Es gibt nur noch Fiktionen gleichen Namens, die inhaltlich leer sind. Am Beispiel der Konservativen: Die Grundlage ihrer Arbeit war bisher der Antikommunismus. Der hat sie zusammengehalten. Jetzt zerbröselt dieser Kitt. Im Kampf hinter den Kulissen geht es darum, wie dieses Vakuum auszufüllen ist.
Weber:Bisher eher mit Nationalismus als mit Ökologie.
Beck: Bloß wird dabei übersehen, dass Nationalismus und ökologische Frage verschiedene Bindemittel für die Gesellschaft darstellen. Viele denken, weil überall Auflösung und Sinnleere herrsche, wäre der Nationalismus das, was neue Stabilität schaffe. Ob das zutrifft, sei dahingestellt. Aber dass die ökologische Frage jeden einzelnen in seiner Existenz betrifft, dass sie außerdem internationale Bedeutung hat - das wird meist nicht beachtet.
Weber:Aber kommt nicht mit der ökologischen Frage statt Ansporn und Zuversicht eine Art Fatalismus daher, nach dem Motto: Lange geht das mit der Menschheit sowieso nicht mehr gut?
Beck: Ja, aber andererseits auch eine starke Remoralisierung und ein neues wirkungsvolles Sinnsystem. Etliche geistige Strömungen sind durch ökologische Fragen aktiviert: Christliche Motive, wie man an der starken Resonanz der Kirchen auf das Thema erkennen kann; sozialistische Ideen, weil es gegen die Industrialisierung geht; der Konservativismus, wenn auch nicht politisch, sondern in einem ursprünglichen Sinn: Weil es etwas zu bewahren gilt.
Weber:Und das alles hat ein gemeinsames geistiges Fundament?
Beck: Das ist das Problem: Der Kern ist hohl. Es geht der Umweltbewegung immer darum, Natur wiederherzustellen oder zu verteidigen. Dabei wird Natur durch die Epochen gesehen sehr unterschiedlich betrachtet. Natur ist ja nicht Natur, sondern ein Begriff, eine Norm, eine Erinnerung, eine Utopie. Welche Vorstellungen sind denn mit Natur verbunden? Unendliche viele! Manche haben den Urwald vor Augen oder die Bergeinsamkeit mit Gebirgsbach; andere die toskanische Hügellandschaft oder die Park- und Landschaftskunst der fünfziger Jahre, also hochkultivierte Natur. Die Ökologen reden von ihren Hochglanz-Vernetzungsmodellen, die Tourismus-Kataloge zeigen die Natur als Augengenuss. Fazit: Der Naturbegriff ist leer, vollständig leer. Die Kritik am Industriesystem kann man damit nicht begründen.
Weber:Kann der naturwissenschaftliche Naturbegriff ein Fundament sein für die Ökologiebewegung?
Beck: Der bietet keinen politischen oder normativen Halt. Dass etwas naturwissenschaftlich so ist, heißt nicht, dass es gesellschaftlich so sein soll.
Weber:Wenn „Natur“ nur eine beliebig zu füllende Worthülse ist - besteht da nicht die Gefahr des Missbrauchs?
Beck: Weil der Begriff Natur so leer ist, kann man auch autoritäre oder diktatorische Gesellschaftsmodelle daraus ableiten, eine neue Rechte kann sich sogar einen modernistischen Anschein geben. Andererseits könnte man sich stärker um demokratische Formen bemühen. Das ist es, was Al Gore, der amerikanische Vizepräsident, erkannt hat: Die ökologische Frage aktiviert die Gesellschaft, sie kann das intellektuelle und politische Vakuum füllen. Gore gestaltet das politisch, indem er konservative, christliche und sozialistische Strömungen an das Thema bindet. Sein „New Deal“ bedeutet, Ökologie mit Wirtschaftsaufschwung zu verbinden und Gruppen neue Karrieren und Machtchancen zu bieten.
Weber:Ist ein ähnlicher Prozess in Deutschland möglich?
Beck: Dazu müsste man unterschiedliche Gruppen in einen Dialog einbinden. Anknüpfen könnte man zum Beispiel an konservative Strömungen. Denen müsste man vorhalten, dass sie schlechte Konservative sind, weil sie sozusagen zerstörend wirken. Bisher sehe ich aber keinen deutschen Politiker, der das intellektuelle Potential, welches das ökologische Thema bietet, gestaltet. Anders ausgedrückt: Das Thema spricht alle an, aber es wird nicht politisch gebündelt. Es wird nur schnell in Technik und Moral umgemünzt; „Natur“ wird als etwas Selbstverständliches vorausgesetzt. Dabei ist es zuerst etwas Kulturelles. Die Umweltbewegung hat sich immer als moralische und technische Bewegung verstanden, nicht als politische, kulturelle und gesellschaftliche, die sie in Wirklichkeit ist.
Weber:Also sollten die Umweltschützer zunächst einmal in Klausur gehen und die kulturelle Grundlage ihres Anliegens erörtern?
Beck: Nur das nicht! Es ist zwar wichtig, die Naivität und Haltlosigkeit des Begriffs Natur zu durchbrechen, aber es existieren in vielen Umweltbereichen plausible Vorstellungen darüber, wie etwas zu ändern ist. Da gibt es Vorschlage für ökologische Steuergesetze und vieles andere mehr. Eigentlich ist klar, was man tun müsste. Nur: Wie man Macht gewinnt, wie man die Menschen für diese Ziele aktiviert - das ist noch nicht beantwortet. Dabei stellt der Umweltschutz doch einen Hintergrund dar, auf den man sehr stark Bezug nehmen kann, sogar moralisch.
Weber: Deshalb verordnen Sie der Ökologiebewegung das, was Sie „grünen Machiavellismus“ nennen?
Beck: Den Ausdruck verwende ich nur ironisch-polemisch. Niccolo Machiavelli war ja ein Taktiker und Technokrat der Macht. „Wohltaten muss man dosieren und über lange Strecken den Menschen verabreichen, schmerzhafte Maßnahmen schnell umsetzen“ - das war zum Beispiel einer seiner Ratschläge. Er hat das Machtspiel der Gesellschaft ganz technisch überlegt. Seine Gedanken über Politik und Macht waren sehr zynisch. Trotzdem: Die ökologische Frage ist eine Machtfrage. Da wird es Gewinner und Verlierer, Helden und Schurken geben. Das könnte man politisch gestalten, und dazu braucht man ein Stück Machiavellismus.
Weber:Dieses Muster auf die Wirtschaft angewandt, hieße: Die Politiker müssten beispielsweise die Hersteller von Solarenergiegeräten viel stärker fördern, das wären die Gewinner - während die Atomindustrie, in der der Öffentlichkeit sowieso in der Rolle des Schurken, verlieren würde.
Beck: So ein Wechsel von Branchen wird natürlich außerordentliche Konflikte mit sich bringen. Aber ich sehe den Kapitalismus als sehr viel lernfähiger an, als ihm häufig unterstellt wird; ein gutes Beispiel aus der Vergangenheit ist sein Umgang mit der sozialen Frage. Das nächste Beispiel wird der Umweltschutz sein. Es werden neue, sehr attraktive Branchen aufgebaut werden, weil das Umweltthema global ist und globale Märkte öffnet. Das rasante Wachstum der Entsorgungsbranche war nur ein Vorgeschmack von dem Kommenden. Es geht aber nicht um ein bisschen Modernisierung, sondern darum, wirklich zukunftsfähig zu werden. Ökologisch eben. Bloß - was heißt das eigentlich? Da stehen wir wieder vor dem Problem: Das ist ein Vakuum, jeder kann den Begriff besetzen und mit verschiedenen Inhalten ausfüllen. Selbst das Grüne-Punkt-System hat sich mit dem Etikett „ökologisch“ verziert. Es müssen sich aber nicht die Verpackungen ändern, sondern die Produktionsbedingungen und die Produkte. Dieses Horten von Müll ist doch eine Hysterie!
Weber:Was haben sie dagegen, dass die Deutschen Weltmeister im Abfallsammeln und -sortieren sind?
Beck: Das Müllproblem ist ein typisches Beispiel für die übliche Vorgehensweise: Weil die Lösung im Großen nicht geschafft wird, wälzt man sie auf alle einzelnen ab. Die Industrie hat schlichtweg alle Bürger zu Müllsortierern im unbezahlten Außendienst gemacht. Nach dem Motto: Wenn schon nicht die Produktion, dann soll wenigstens der Abfall demokratisch werden. Völlig absurd, dass die Konsumenten das Problem lösen sollen, nicht die Produzenten! Und erstaunlich, dass die Menschen nicht mit einem Aufschrei des Entsetzens reagieren, sondern mit masochistischer Emsigkeit rund um die Uhr mitmachen. Es gibt für niemanden einen müllfreien Tag, und was noch seltsamer ist: Niemand verlang danach.
Weber: Was ist zu tun?
Beck: Wir müssen fragen: Welche Produktionsbedingungen sind akzeptabel? Wenn das feststeht, dann kann man die Wirtschaft umdirigieren. Mit der Peitsche, also durch Dramatisierung der Umweltgefahren in der Öffentlichkeit, und mit Zucker, indem neue Marktchancen geboten werden.
Weber:Ist die Wirtschaft nicht zu verflochten, um ihre einzelnen Teile gegeneinander auszuspielen?
Beck: Die Industrie ist in sich schon gespalten. Mein eindrucksvollstes Erlebnis bei Diskussionen in den großen Konzernen war, wie zersplittert das Management ist. Da gibt es unterschiedliche Gruppierungen und Koalitionen. Was nach außen als homogene Unternehmenspolitik erscheint, ist in Wirklichkeit radikal gegensätzlich. Also ist die Politik morsch und marode. So ein Konzern ist wie ein kleines Stück DDR: Alle dachten, die ist stabil und hält durch. Und dann bricht sie zusammen. Innerlich ist in vielen Firmen die oberste Etage, also sozusagen die SED, schon von der eigenen Politik distanziert.
Weber:Zumindest machen die einzelnen Wirtschaftsrepräsentanten immer einen sehr gefestigten Eindruck, wenn sie in der Öffentlichkeit auftreten.
Beck: Das täuscht: Selbst diejenigen, die die alte Politik nach außen vertreten, sind häufig in sich gebrochen. Die Meinungsverschiedenheiten gehen bis in die Identität der Leute hinein. Und dann weiter in deren Familien! Da stehen die Manager unter der Anklage ihrer Kinder und die Kinder unter der Anklage ihrer Freunde. Das ist eine existenzielle Auseinandersetzung zwischen Generationen. Manche Manager sind in psychologischer Behandlung, weil sie diese Konfliktspannung nicht mehr aushalten. Wenn man sie auf dieses Thema anspricht, sind sie fast zu Tränen gerührt: Sie fühlen sich einfach dauernd wie auf der Anklagebank und haben große Schwierigkeiten, sich zu rechtfertigen. Aber nicht nur die Führungsebene ist betroffen: in den umweltbelastenden Industriezweigen kämpfen die Ingenieure wegen der Art ihrer Arbeit mit Problemen in ihren Liebesbeziehungen. Und die Konzerne haben es schwerer, Facharbeiter zu finden.
Weber:Wenn die Industrieführung teilweise in sich schon marode ist - wie kann man sie umsteuern zu einer anderen Produktionsweise?
Beck: Wir brauchen nicht nur Alternativen für konkrete Fragen, wir brauchen eine ganz andere Vorstellung von Technik. Bis jetzt orientieren sich Techniker daran: Was ist wirtschaftlich, funktional und effektiv. Eine ökologische Technik, die dieses Etikett wirklich verdient, muss jedoch auch die Folgen ihrer selbst schon bei der Entwicklung beachten. Die Technik darf diese Nebenwirkungen nicht erst hinterher zur Kenntnis nehmen.
Weber:Wer das heute versucht, wird meist belächelt…
Beck: Aber das muss nicht so bleiben, wenn die Alternativen zur heutigen Technik erst einmal etabliert sind, wenn das alles eine große gesellschaftliche Bewegung geworden ist. Heidegger - der ja nicht gerade ein Kronzeuge ist, auf den man sich bei allen Gelegenheiten berufen könnte - hat mit einem Bild verdeutlicht, wie Technik beschaffen sein könnte: Sie müsste „auf der Welt wie auf einer Geige spielen“. Wenn es einmal so weit ist, dann werden wir sehen, dass die ökologische Frage in Wirklichkeit ein Himmelsgeschenk zur Selbstreformation einer bislang fatalistischen Industriemoderne war.
Der Soziologe Ulrich Beck, geb. 15. Mai 1944 in Stolp, starb am 1. Januar. Er wurde einer breiten Öffentlichkeit durch sein Buch "Risikogesellschaft" bekannt, das 1986 erschien, einige Zeit vor der Tschernobyl-Katastrophe. Beck war Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, an der London School of Economics and Political Science und an der FMSH (Fondation Maison des sciences de l’homme) in Paris. Vom Europäischen Forschungsrat wurde ihm 2012 ein Projekt zum Thema „Methodologischer Kosmopolitismus am Beispiel des Klimawandels“ mit fünfjähriger Laufzeit bewilligt. Als einer der ersten Forscher machte er die "Globalisierung" zum Thema.
Weber:Welche „sinnstiftende“ Rolle könnte in dieser Zeit der Unsicherheit der Ökologie zukommen?
Ulrich Beck: Mit dem Zusammenbruch der Ost-West-Ordnung sind wir in hochpolitische Zeiten gerutscht, auch was die ökologische Frage betrifft. Das ist meine zentrale These: Es gibt nicht mehr CDU, SPD, die Grünen, die Bundeswehr. Es gibt nur noch Fiktionen gleichen Namens, die inhaltlich leer sind. Am Beispiel der Konservativen: Die Grundlage ihrer Arbeit war bisher der Antikommunismus. Der hat sie zusammengehalten. Jetzt zerbröselt dieser Kitt. Im Kampf hinter den Kulissen geht es darum, wie dieses Vakuum auszufüllen ist.
Weber:Bisher eher mit Nationalismus als mit Ökologie.
Beck: Bloß wird dabei übersehen, dass Nationalismus und ökologische Frage verschiedene Bindemittel für die Gesellschaft darstellen. Viele denken, weil überall Auflösung und Sinnleere herrsche, wäre der Nationalismus das, was neue Stabilität schaffe. Ob das zutrifft, sei dahingestellt. Aber dass die ökologische Frage jeden einzelnen in seiner Existenz betrifft, dass sie außerdem internationale Bedeutung hat - das wird meist nicht beachtet.
Weber:Aber kommt nicht mit der ökologischen Frage statt Ansporn und Zuversicht eine Art Fatalismus daher, nach dem Motto: Lange geht das mit der Menschheit sowieso nicht mehr gut?
Beck: Ja, aber andererseits auch eine starke Remoralisierung und ein neues wirkungsvolles Sinnsystem. Etliche geistige Strömungen sind durch ökologische Fragen aktiviert: Christliche Motive, wie man an der starken Resonanz der Kirchen auf das Thema erkennen kann; sozialistische Ideen, weil es gegen die Industrialisierung geht; der Konservativismus, wenn auch nicht politisch, sondern in einem ursprünglichen Sinn: Weil es etwas zu bewahren gilt.
Weber:Und das alles hat ein gemeinsames geistiges Fundament?
Beck: Das ist das Problem: Der Kern ist hohl. Es geht der Umweltbewegung immer darum, Natur wiederherzustellen oder zu verteidigen. Dabei wird Natur durch die Epochen gesehen sehr unterschiedlich betrachtet. Natur ist ja nicht Natur, sondern ein Begriff, eine Norm, eine Erinnerung, eine Utopie. Welche Vorstellungen sind denn mit Natur verbunden? Unendliche viele! Manche haben den Urwald vor Augen oder die Bergeinsamkeit mit Gebirgsbach; andere die toskanische Hügellandschaft oder die Park- und Landschaftskunst der fünfziger Jahre, also hochkultivierte Natur. Die Ökologen reden von ihren Hochglanz-Vernetzungsmodellen, die Tourismus-Kataloge zeigen die Natur als Augengenuss. Fazit: Der Naturbegriff ist leer, vollständig leer. Die Kritik am Industriesystem kann man damit nicht begründen.
Weber:Kann der naturwissenschaftliche Naturbegriff ein Fundament sein für die Ökologiebewegung?
Beck: Der bietet keinen politischen oder normativen Halt. Dass etwas naturwissenschaftlich so ist, heißt nicht, dass es gesellschaftlich so sein soll.
Weber:Wenn „Natur“ nur eine beliebig zu füllende Worthülse ist - besteht da nicht die Gefahr des Missbrauchs?
Beck: Weil der Begriff Natur so leer ist, kann man auch autoritäre oder diktatorische Gesellschaftsmodelle daraus ableiten, eine neue Rechte kann sich sogar einen modernistischen Anschein geben. Andererseits könnte man sich stärker um demokratische Formen bemühen. Das ist es, was Al Gore, der amerikanische Vizepräsident, erkannt hat: Die ökologische Frage aktiviert die Gesellschaft, sie kann das intellektuelle und politische Vakuum füllen. Gore gestaltet das politisch, indem er konservative, christliche und sozialistische Strömungen an das Thema bindet. Sein „New Deal“ bedeutet, Ökologie mit Wirtschaftsaufschwung zu verbinden und Gruppen neue Karrieren und Machtchancen zu bieten.
Weber:Ist ein ähnlicher Prozess in Deutschland möglich?
Beck: Dazu müsste man unterschiedliche Gruppen in einen Dialog einbinden. Anknüpfen könnte man zum Beispiel an konservative Strömungen. Denen müsste man vorhalten, dass sie schlechte Konservative sind, weil sie sozusagen zerstörend wirken. Bisher sehe ich aber keinen deutschen Politiker, der das intellektuelle Potential, welches das ökologische Thema bietet, gestaltet. Anders ausgedrückt: Das Thema spricht alle an, aber es wird nicht politisch gebündelt. Es wird nur schnell in Technik und Moral umgemünzt; „Natur“ wird als etwas Selbstverständliches vorausgesetzt. Dabei ist es zuerst etwas Kulturelles. Die Umweltbewegung hat sich immer als moralische und technische Bewegung verstanden, nicht als politische, kulturelle und gesellschaftliche, die sie in Wirklichkeit ist.
Weber:Also sollten die Umweltschützer zunächst einmal in Klausur gehen und die kulturelle Grundlage ihres Anliegens erörtern?
Beck: Nur das nicht! Es ist zwar wichtig, die Naivität und Haltlosigkeit des Begriffs Natur zu durchbrechen, aber es existieren in vielen Umweltbereichen plausible Vorstellungen darüber, wie etwas zu ändern ist. Da gibt es Vorschlage für ökologische Steuergesetze und vieles andere mehr. Eigentlich ist klar, was man tun müsste. Nur: Wie man Macht gewinnt, wie man die Menschen für diese Ziele aktiviert - das ist noch nicht beantwortet. Dabei stellt der Umweltschutz doch einen Hintergrund dar, auf den man sehr stark Bezug nehmen kann, sogar moralisch.
Weber: Deshalb verordnen Sie der Ökologiebewegung das, was Sie „grünen Machiavellismus“ nennen?
Beck: Den Ausdruck verwende ich nur ironisch-polemisch. Niccolo Machiavelli war ja ein Taktiker und Technokrat der Macht. „Wohltaten muss man dosieren und über lange Strecken den Menschen verabreichen, schmerzhafte Maßnahmen schnell umsetzen“ - das war zum Beispiel einer seiner Ratschläge. Er hat das Machtspiel der Gesellschaft ganz technisch überlegt. Seine Gedanken über Politik und Macht waren sehr zynisch. Trotzdem: Die ökologische Frage ist eine Machtfrage. Da wird es Gewinner und Verlierer, Helden und Schurken geben. Das könnte man politisch gestalten, und dazu braucht man ein Stück Machiavellismus.
Weber:Dieses Muster auf die Wirtschaft angewandt, hieße: Die Politiker müssten beispielsweise die Hersteller von Solarenergiegeräten viel stärker fördern, das wären die Gewinner - während die Atomindustrie, in der der Öffentlichkeit sowieso in der Rolle des Schurken, verlieren würde.
Beck: So ein Wechsel von Branchen wird natürlich außerordentliche Konflikte mit sich bringen. Aber ich sehe den Kapitalismus als sehr viel lernfähiger an, als ihm häufig unterstellt wird; ein gutes Beispiel aus der Vergangenheit ist sein Umgang mit der sozialen Frage. Das nächste Beispiel wird der Umweltschutz sein. Es werden neue, sehr attraktive Branchen aufgebaut werden, weil das Umweltthema global ist und globale Märkte öffnet. Das rasante Wachstum der Entsorgungsbranche war nur ein Vorgeschmack von dem Kommenden. Es geht aber nicht um ein bisschen Modernisierung, sondern darum, wirklich zukunftsfähig zu werden. Ökologisch eben. Bloß - was heißt das eigentlich? Da stehen wir wieder vor dem Problem: Das ist ein Vakuum, jeder kann den Begriff besetzen und mit verschiedenen Inhalten ausfüllen. Selbst das Grüne-Punkt-System hat sich mit dem Etikett „ökologisch“ verziert. Es müssen sich aber nicht die Verpackungen ändern, sondern die Produktionsbedingungen und die Produkte. Dieses Horten von Müll ist doch eine Hysterie!
Weber:Was haben sie dagegen, dass die Deutschen Weltmeister im Abfallsammeln und -sortieren sind?
Beck: Das Müllproblem ist ein typisches Beispiel für die übliche Vorgehensweise: Weil die Lösung im Großen nicht geschafft wird, wälzt man sie auf alle einzelnen ab. Die Industrie hat schlichtweg alle Bürger zu Müllsortierern im unbezahlten Außendienst gemacht. Nach dem Motto: Wenn schon nicht die Produktion, dann soll wenigstens der Abfall demokratisch werden. Völlig absurd, dass die Konsumenten das Problem lösen sollen, nicht die Produzenten! Und erstaunlich, dass die Menschen nicht mit einem Aufschrei des Entsetzens reagieren, sondern mit masochistischer Emsigkeit rund um die Uhr mitmachen. Es gibt für niemanden einen müllfreien Tag, und was noch seltsamer ist: Niemand verlang danach.
Weber: Was ist zu tun?
Beck: Wir müssen fragen: Welche Produktionsbedingungen sind akzeptabel? Wenn das feststeht, dann kann man die Wirtschaft umdirigieren. Mit der Peitsche, also durch Dramatisierung der Umweltgefahren in der Öffentlichkeit, und mit Zucker, indem neue Marktchancen geboten werden.
Weber:Ist die Wirtschaft nicht zu verflochten, um ihre einzelnen Teile gegeneinander auszuspielen?
Beck: Die Industrie ist in sich schon gespalten. Mein eindrucksvollstes Erlebnis bei Diskussionen in den großen Konzernen war, wie zersplittert das Management ist. Da gibt es unterschiedliche Gruppierungen und Koalitionen. Was nach außen als homogene Unternehmenspolitik erscheint, ist in Wirklichkeit radikal gegensätzlich. Also ist die Politik morsch und marode. So ein Konzern ist wie ein kleines Stück DDR: Alle dachten, die ist stabil und hält durch. Und dann bricht sie zusammen. Innerlich ist in vielen Firmen die oberste Etage, also sozusagen die SED, schon von der eigenen Politik distanziert.
Weber:Zumindest machen die einzelnen Wirtschaftsrepräsentanten immer einen sehr gefestigten Eindruck, wenn sie in der Öffentlichkeit auftreten.
Beck: Das täuscht: Selbst diejenigen, die die alte Politik nach außen vertreten, sind häufig in sich gebrochen. Die Meinungsverschiedenheiten gehen bis in die Identität der Leute hinein. Und dann weiter in deren Familien! Da stehen die Manager unter der Anklage ihrer Kinder und die Kinder unter der Anklage ihrer Freunde. Das ist eine existenzielle Auseinandersetzung zwischen Generationen. Manche Manager sind in psychologischer Behandlung, weil sie diese Konfliktspannung nicht mehr aushalten. Wenn man sie auf dieses Thema anspricht, sind sie fast zu Tränen gerührt: Sie fühlen sich einfach dauernd wie auf der Anklagebank und haben große Schwierigkeiten, sich zu rechtfertigen. Aber nicht nur die Führungsebene ist betroffen: in den umweltbelastenden Industriezweigen kämpfen die Ingenieure wegen der Art ihrer Arbeit mit Problemen in ihren Liebesbeziehungen. Und die Konzerne haben es schwerer, Facharbeiter zu finden.
Weber:Wenn die Industrieführung teilweise in sich schon marode ist - wie kann man sie umsteuern zu einer anderen Produktionsweise?
Beck: Wir brauchen nicht nur Alternativen für konkrete Fragen, wir brauchen eine ganz andere Vorstellung von Technik. Bis jetzt orientieren sich Techniker daran: Was ist wirtschaftlich, funktional und effektiv. Eine ökologische Technik, die dieses Etikett wirklich verdient, muss jedoch auch die Folgen ihrer selbst schon bei der Entwicklung beachten. Die Technik darf diese Nebenwirkungen nicht erst hinterher zur Kenntnis nehmen.
Weber:Wer das heute versucht, wird meist belächelt…
Beck: Aber das muss nicht so bleiben, wenn die Alternativen zur heutigen Technik erst einmal etabliert sind, wenn das alles eine große gesellschaftliche Bewegung geworden ist. Heidegger - der ja nicht gerade ein Kronzeuge ist, auf den man sich bei allen Gelegenheiten berufen könnte - hat mit einem Bild verdeutlicht, wie Technik beschaffen sein könnte: Sie müsste „auf der Welt wie auf einer Geige spielen“. Wenn es einmal so weit ist, dann werden wir sehen, dass die ökologische Frage in Wirklichkeit ein Himmelsgeschenk zur Selbstreformation einer bislang fatalistischen Industriemoderne war.
Der Soziologe Ulrich Beck, geb. 15. Mai 1944 in Stolp, starb am 1. Januar. Er wurde einer breiten Öffentlichkeit durch sein Buch "Risikogesellschaft" bekannt, das 1986 erschien, einige Zeit vor der Tschernobyl-Katastrophe. Beck war Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, an der London School of Economics and Political Science und an der FMSH (Fondation Maison des sciences de l’homme) in Paris. Vom Europäischen Forschungsrat wurde ihm 2012 ein Projekt zum Thema „Methodologischer Kosmopolitismus am Beispiel des Klimawandels“ mit fünfjähriger Laufzeit bewilligt. Als einer der ersten Forscher machte er die "Globalisierung" zum Thema.