Erneuerbare Energie, Anleihen / AIF

„Die Mehrzahl der Windparks dürfte die vorausgesagten Erträge nicht erreichen“ - ECOreporter.de-Interview über Windgutachten mit Herbert Schwartz, anemos-jacob GmbH

Ob eine Windkraftanlage ein gutes Investment ist, hängt vom Wind ab. Wie der Wind an einem Standort wehen wird, sollen Windgutachten voraussagen. Werden sie ihrer Aufgabe auch gerecht? Darüber haben wir mit Herbert Schwartz, Diplom-Ingenieur der Luft- und Raumfahrttechnik, in einem Interview ausführlich gesprochen. Schwartz ist Inhaber der Windgutachten-Gesellschaft anemos-jacob GmbH aus Oldershausen. Mit seiner 25-jährigen Erfahrung zählt er zu den profiliertesten Vertretern seiner Zunft.

ECOreporter.de: Was muss ein Windgutachten enthalten? 


Herbert Schwartz: Die Anforderungen an Windgutachten sind in der Technischen Richtlinie TR6 der Fördergesellschaft Windenergie dokumentiert. Sie müssen alle Vorgaben und verwendeten Eingabedaten, Annahmen und Modelle enthalten. Gutachter müssen alle wesentlichen fachlichen Abwägungen und Entscheidungen darin darlegen und begründen. Dabei muss der Weg von den Eingangsdaten zum Ergebnis nachvollziehbar sein.Die Eignung der verwendeten Daten und Modelle muss begründet,  Unsicherheiten müssen erläutert und quantifiziert werden.
Leider werden in der TR6 aus meiner Sicht zu wenige Zwischenergebnisse gefordert. Da viele Gutachter nur genau das dokumentieren, was dort vorgeschrieben ist, sind die meisten Gutachten derzeit selbst für Fachleute nicht nachprüfbar.

ECOreporter.de: Welche Faktoren sind für die Qualität eines Windkraft-Standortes hinsichtlich der Windverhältnisse ausschlaggebend?

Schwartz: Zunächst sollte von der großräumigen Situation her ein nennenswertes Windpotenzial verfügbar sein, was in vielen Regionen der Erde nicht der Fall ist. Lokal sollte dann die Anströmung nicht in den wichtigen Richtungen durch höhere Berge gestört werden. Kuppen und flache sowie offene, d.h. wenig durch Wald oder Bebauung beeinträchtigte Standorte sind vorzuziehen. Der derzeitige Trend zur Entwicklung von Waldstandorten mag aus planerischer oder politischer Sicht sinnvoll sein, aber aus Sicht der Windverhältnisse sind Wälder immer ungünstig.

ECOreporter.de: Wie genau kann man die Windernte im Voraus berechnen?

Schwartz: Dies hängt sehr stark von der Menge, Qualität und Repräsentativität der verfügbaren Eingabedaten (Ertragsdaten bestehender Windkraftanlagen, Windmessdaten vom Standort oder aus der Region) und Referenzdaten (Wetterstationsdaten oder sonstige Langfristdaten) ab. Ganz klar steigt die Unsicherheit, je komplexer das Gelände ist und je mehr sich die geplante Situation von den bisher bekannten Situationen unterscheidet. Dies  gilt derzeit in erheblichem Maß für die geplanten großen Nabenhöhen und für Waldstandorte.
Es gibt Hinweise darauf, dass die Mehrzahl der Windparks in Deutschland die prognostizierten Erträge nicht erreichen. Demnach muss die Unsicherheit der Windgutachten in der Vergangenheit recht hoch gewesen sein. Da in den letzten 20 Jahren weltweit kaum Forschung im Bereich der Windfelder und Ertragsberechnung stattgefunden hat, besteht hier ein erheblicher Nachholbedarf und auch weiterhin ein großes Risiko.
Immerhin sehe ich einen Trend, dass Windgutachter das Risiko zunehmend kritischer betrachten und im Zweifelsfall einen Auftrag auch einmal ablehnen, wenn sie die Datenlage als unzureichend ansehen.
Andererseits gibt es viele Möglichkeiten, die Unsicherheiten zu verringern. So könnte man schon bei der üblicherweise verfügbaren Datenmenge mit mehr Aufwand für die Bearbeitung der konkreten Fälle sowie mit mehr allgemeinen Untersuchungen erhebliche Verbesserungen erzielen. Das für Windgutachten übliche Preisniveau und die verlangten Lieferzeiten haben dies bisher aber verhindert. Bei den gegenwärtigen Marktpreisen, die ja einem bestimmten Aufwand entsprechen, und  bei dem hohen Zeitdruck, kann einfach keine hohe Prognosegenauigkeit gesichert werden.
Darüber hinaus fordern die Windgutachter seit mehr als 10 Jahren, dass ihnen alle Ertragsdaten bestehender Anlagen in Deutschland zur Verfügung stehen. Dies würde eine massive Verbesserung der Qualität der Windgutachten ermöglichen – was allerdings auch einen deutlichen Mehraufwand bedingen würde.
Immerhin hat sich auch in Deutschland in den letzten beiden Jahren die Erkenntnis durchgesetzt, dass in vielen Fällen ohne Windmessungen keine akzeptable Belastbarkeit der Ergebnisse erreicht werden kann. Dies bedingt aber auch eine Bereitschaft bei den Projektentwicklern, für die Ermittlung des Windpotenzials ein Mehrfaches an Zeit und Geld im Vergleich zur Vergangenheit bereitzustellen.
Letztlich können die Windgutachter nur so gut sein, wie ihnen die Branche auch die Möglichkeiten dazu gibt.

ECOreporter.de: Gibt es unterschiedliche Berechnungsmethoden?


Schwartz: Ja. Noch immer ist das 1989 von Risø herausgegebene Modell WAsP, das inhaltlich seitdem nicht weiter entwickelt worden ist, am Markt am weitesten verbreitet. Seit über 10 Jahren werden daneben immer mehr dreidimensionale Strömungsmodelle eingesetzt. Für die Untersuchung regionaler Strömungsfelder und im Rahmen des Langzeitbezugs sind einige Modelle inzwischen verbreitet und anerkannt. Bei der Modellierung kleinräumiger Strömungsvorgänge, also auf dem Niveau der Windparkstandorte, hat es bisher dagegen keinen Durchbruch gegeben. International besteht ein Konsens unter Fachleuten, dass noch kein Modell in der Lage ist, die Strömung in komplexem Gelände zuverlässig abzubilden. Hier liegt noch ein weiter Weg und viel Entwicklungsarbeit vor uns.

ECOreporter.de: Wodurch ist die Unabhängigkeit eines Windgutachtens gewährleistet? Verringern „strenge“ Gutachten nicht die Aussicht auf weitere Aufträge der Kunden?

Schwartz: Das ist eine heikle Frage, denn die Mehrzahl der Windgutachten wird für Projektentwickler angefertigt. Je „günstiger“ ein Windgutachten ausfällt, desto mehr verdient der Kunde beim Verkauf des Projektes. Die wirtschaftlichen Auswirkungen selbst geringer Veränderungen am Ergebnis sind groß. Verglichen mit anderen Akteuren am Markt sind die Windgutachterbüros zudem klein und nicht mächtig. Da bedarf es manchmal einer großen Gelassenheit und teilweise Geduld, wenn nicht Dickköpfigkeit, um die für richtig gehaltenen Ergebnisse nicht wegdiskutieren zu lassen. Es fällt schon schwer, Ergebnisse herauszugeben, die für den Kunden den Verlust eines Projektes, in das er vielleicht schon viel investiert hat, bedeuten. Die Unabhängigkeit macht sich also rein an der Einstellung und dem Verhalten im Tagesgeschäft des einzelnen Windgutachters fest. So gesehen wäre es besser, wenn die Gutachten mehr von Finanzierern oder Investoren beauftragt würden, aber diese treten ja erst zu spät in der Projektentwicklung in Erscheinung.
Andererseits haben viele Finanzierer und Investoren durchaus auch aus vieljähriger Erfahrung oder über Erkundigungen Meinungen zu den Gutachtern und agieren letztlich als Korrektiv, indem sie den Projektentwicklern ihre Präferenzen nennen und im Zweifelsfall weitere Gutachten anfordern bzw. vorlegen lassen. Am Ende beeinflusst auch das Renommee des Gutachters den Wert eines angebotenen Projektes.
Während die Privatbetreiber oft sogar mehrmals nachfragen, ob das Ergebnis auch erreicht wird, kommen Projektentwickler vor allem dann mit Fragen auf Gutachter zu, wenn sie das Ergebnis als zu niedrig empfinden oder wenn es unter dem eines anderen Gutachters liegt. Ich kann mich aus den letzten 15 Jahren an nicht einmal zehn Fälle erinnern, in denen ein Projektentwickler gefragt hat, ob das Ergebnis nicht zu hoch sein könnte – umgekehrt aber an sehr viele Fälle. In der Regel folgt dann eine Fachdiskussion, zu der der Projektentwickler vor allem die Aspekte betont und teilweise auch nachträglich weitere Informationen liefert, die für ein höheres Ergebnis sprechen. Letztlich entsteht dadurch ein Ungleichgewicht bei den Arbeitsgrundlagen, das sehr subtil auf das Ergebnis wirkt.

ECOreporter.de: Windertragsgutachten kommen zuweilen zu sehr verschiedenen Ergebnissen. Wie ist das zu erklären? Inwiefern gibt es vereinheitlichende Standards für das Erstellen von Windgutachten?

Schwartz: Zunächst gibt es ein Ungleichgewicht bei der Bewertung von Abweichungen zwischen Gutachten. Ein Ergebnisunterschied von 10 % im Ertrag ist in schwierigeren Fällen aus Sicht der Windgutachter noch eine gute Übereinstimmung, denn er ist noch deutlich geringer als die Ergebnisunsicherheit. Für die Projektentwickler und Finanzierer ist ein solcher Unterschied aber kaum zu akzeptieren. Damit fordern sie mehr, als die Gutachter bei üblicher Datenlage und dem gegenwärtigen Stand der Technik liefern können!
Windgutachten setzen sich aus vielen einzelnen Schritten zusammen, von denen zu jedem unterschiedliche Meinungen und Erfahrungen existieren. Schon mehrere geringe Abweichungen in verschiedenen Schritten können sich zu größeren Gesamtabweichungen akkumulieren, ohne dass eines der Gutachten offensichtlich richtiger wäre als das andere.
Ein Problem des Marktes ist auch, dass die Komplexität der beplanten Standorte in den letzten 10 Jahren ständig zugenommen hat. Jeder Fortschritt an Erfahrung und Methodik der Windgutachter wurde letztlich mehr als aufgewogen durch die wachsende Schwierigkeit der Aufgaben. Gleichzeitig wuchsen noch die Genauigkeitsanforderungen der Kunden. Letztlich müssten eigentlich die Nutzer der Windgutachten darauf drängen, dass die Windgutachter die Möglichkeit bekommen, deutlich belastbarere Gutachten zu erstellen.

Zur Fortsetzung unseres Interviews mit Herbert Schwartz gelangen Sie Opens external link in new windowHIER.
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