Erneuerbare Energie, Anleihen / AIF

Genossenschaften - Geld anlegen und mitbestimmen: Interview mit Michael Sladek, EWS Schönau

Als ob Asterix und Obelix in der deutschen Stromwirtschaft zum Leben erweckt wären: Das ganze Land wird in den achtziger- und neunziger Jahren von den Stromriesen mit ihren Atom- und Kohlekraftwerken und Leitungen beherrscht. Das ganze Land? Nein, die Bürger der kleinen Schwarzwald-Stadt Schönau wollen nach der Tschernobyl-Katastrophe 1986 nicht mehr mitmachen. Sie gründen die Netzkauf Elektrizitätswerke (EWS) Schönau eG, kaufen 1997 erst das Stromnetz in ihrem Ort, später bieten sie bundesweit grünen Strom an. Mittlerweile versorgen sie mehr als 155.000 Privathaushalte, Gewerbebetriebe und Industrie-Unternehmen mit sauberem Strom. Auch grünes Gas hat die EWS im Angebot, und sie betreibt eigene Erneuerbare-Energien-Kraftwerke. 

Bundespräsident Joachim Gauck verlieh der EWS-Mitgründerin und Vorstandsfrau Ursula Sladek im Oktober 2013 den Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Ihr Mann, der Arzt Michael Sladek, ist ebenfalls im Vorstand der EWS. Im Interview erläutert er, warum die EWS Geld von Anlegern brauchte und warum dieses Geld eine ganz andere Wirkung hat als das Kapital, das im üblichen Weltkreislauf der Finanzen pulsiert.

ECOreporter.de: Viele Bürgerinnen und Bürger haben Genossenschaftsanteile der EWS gekauft. Ist das eine der üblichen Geldanlagen mit ein wenig Rendite, oder steckt da mehr dahinter?

Sladek:  Natürlich mehr! Das Geld, das in unsere Netzkauf EWS eG eingezahlt wurde und wird, stammt von Privatleuten. Sie geben mit diesem Geld, mit ihrer Beteiligung, eine klare Botschaft und ein eindeutiges Signal ab: Sie wollen die Zukunft, vor allem die Energie-Zukunft, gestalten.

ECOreporter.de: Hätte es die EWS Schönau ohne das Geld von Privatleuten überhaupt geben können?


Sladek:  Das aktive „Sich-Einmischen“ von Menschen auf den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Ebenen ist die Voraussetzung für eine zukunftsfähige Demokratie. Deshalb setzt das Geschäftsmodell der EWS auf das politische, ökologische und finanzielle Engagement von Menschen. Ohne diese Bürgerbeteiligung gäbe es die EWS nicht. Geld spielt dabei sicher eine wichtige Rolle. Viel wichtiger ist es aber, die Vision einer lebenswerten Zukunft für uns alle darzustellen und Wege dorthin klar und transparent aufzuzeigen.
Ich denke, die EWS ist ein Hoffnungsträger für viele Menschen geworden. In vielen Gemeinden sind Menschen aktiv geworden, haben selbst neue Energieerzeugungsanlagen realisiert und bereiten so den Weg in eine dezentralisierte Energiewirtschaft vor.

ECOreporter.de: Meistens holt sich jemand das Geld, das er für ein neues Unternehmen braucht, von der Bank oder von einem großen Investor. Warum haben Sie das anders gehandhabt?


Sladek:  Denken Sie wirklich, Banken hätten unser Geschäftsmodell finanziert? Und überhaupt, wir wollten das gar nicht. Wir wollen kein anonymes Geld, sondern wir wollen Geld mit einem „Gesicht“. Jeder unserer Geldgeber ist Unternehmer und Beteiligter in der EWS am Projekt Energiezukunft.
Banken sind in der Regel doch eher Bremser als Förderer von neuen Geschäftsideen. Die überschwappende Bürokratie macht sie zunehmend so unflexibel und starr, dass innovative Geschäftsmodelle nie realisiert werden würden. Neue Finanzierungsmethoden sind zwingend notwendig – z.B. über Genossenschaften –, damit wir den gesellschaftlichen Stillstand auf den unterschiedlichsten Ebenen überwinden können. Die große Ausnahme in der Bankenwelt ist für mich die GLS-Bank, mit der wir seit Jahren eng zusammenarbeiten.

ECOreporter.de: Wirkt das Geld von Privatleuten in einem Unternehmen anders als anderes Geld – oder ist das eine Geld genauso wie das andere?

Sladek:
  Das Geld von Privatleuten – bei uns der Mitglieder in unserer Genossenschaft – wirkt unmittelbar auf die Unternehmensphilosophie und -politik der EWS. Es geht um weit mehr als Erträge und Zinsen!

ECOreporter.de: Was sind das für Menschen, die EWS-Genossenschaftsanteile erwerben?

Sladek:  Das sind EWS-Strom- und Gaskunden. Wir haben bisher noch nie aktiv für den Eintritt in unsere Genossenschaft geworben.

ECOreporter.de: Schönau ist eine kleine Stadt. Hat diese Überschaubarkeit eine besondere Bedeutung für die ersten Anleger gehabt?

Sladek:  Wir Schönauer wollten unser Stromnetz kaufen. Meine Frau und ich wohnen in Schönau; die Schönauer hatten Vertrauen in uns und unser Geschäftsmodell. Dieses Vertrauen ist das wichtigste „Kapital“, das die EWS besitzt. Es ist dieses Vertrauen in die EWS, das bundesweit wirkt und die Menschen von einer Geldanlage in unserer Genossenschaft überzeugt. Unsere Mitglieder und Kunden sehen wir als Mitstreiter an, mit denen wir unsere gemeinsamen Ziele realisieren wollen.

ECOreporter.de: Wieviel investieren Privatleute in die EWS?

Sladek: Ein Genossenschaftsanteil an unserer Netzkauf EWS eG beträgt 100 Euro. Fünf Anteile muss man mindestens erwerben. Wir sind (Stand Anfang Dezember 2013) 3.309 Netzkauf-EWS-Genossen, die 27,02 Millionen Euro eingezahlt haben. Die Einlagenhöhe der einzelnen Mitglieder schwankt zwischen 500 und 250.000 Euro.

ECOreporter.de: Kommen die Genossenschaftler auch zu den Gesellschafterversammlungen, oder ist das eher eine anonyme Anlegerschar?

Sladek: Viele unserer Mitglieder kommen zu den Gesellschafterversammlungen und diskutieren mit Aufsichtsrat, Vorstand und den Geschäftsführern über die Wirtschaftspläne und die weitere gesellschafts- und energiepolitische Ausrichtung der EWS. Viele unserer Mitglieder halten darüber hinaus eine rege Kommunikation mit unseren Vorständen.

ECOreporter.de: Äußern ihre Genossenschaftler auch Wünsche, in welche Richtung sich die EWS entwickeln soll, wo oder wie sie Kraftwerke bauen sollen?

Sladek:
Ja! Für unsere Mitglieder bedeutet der Eintritt in unsere Genossenschaft viel mehr als eine reine Kapitalanlage. Die Mitglieder äußern sehr detailliert ihre Wünsche, wie ihre EWS aussehen soll. Sie ermutigen uns einerseits durch ihre vielfältigen Anregungen, kritisieren uns aber anderseits auch, wenn sie sich nicht ausreichend informiert fühlen.

ECOreporter.de: Wenn Sie noch einmal mit der EWS beginnen könnten - würden Sie wieder eine Genossenschaft wählen? Warum nicht eine Aktiengesellschaft?


Sladek:  Wir wollen eine Gesellschaftsform, in der sich jeder einbringen kann und mitentscheiden kann. Die Höhe der Kapitaleinlage des Einzelnen soll nicht im Vordergrund stehen! In der Genossenschaft wird dieses Prinzip umgesetzt – deshalb ist das die ideale Gesellschaftsform für die EWS.

ECOreporter.de: Derzeit gibt es immer mehr neue Energie-Genossenschaften. Worauf sollte man achten, bevor man Genossenschaftsanteile zeichnet?

Sladek:  Das Wichtigste aus meiner Sicht: Schon vor der Gründung muss eine Genossenschaft ein klar definiertes Geschäftsmodell ausgearbeitet haben. Die Finanzierung muss festgelegt sein. Das Anlegerkapital für die Finanzierung einer Vorphase zu verwenden halte ich nur in ganz bestimmten Einzelfällen für gerechtfertigt. Man darf Kapital, das die Mitglieder in guter Absicht für Investitionen eingezahlt haben, im Vorfeld durch Vorlaufkosten nicht schon aufbrauchen! Dafür müssen andere Finanzierungsmöglichkeiten (z.B. Verein) gefunden werden.


ECOreporter.de: Manche neue Genossenschaft verspricht garantierte Renditen ... ein gutes Modell?

Sladek:  Mitgliedschaft in einer Genossenschaft bedeutet immer eine Geldanlage mit Chancen und Risiken. Genossenschaften, die eine garantierte Dividende versprechen, degradieren die Mitglieder zu „stillen Beteiligten“ ohne irgendeinen Einfluss auf die Unternehmenspolitik. Dies widerspricht fundamental der Genossenschaftsidee, daher lehne ich das vehement ab!

ECOreporter.de: Zahlt die EWS auch Renditen? Was schätzen Sie, wie wichtig den Genossenschaftlern Renditen sind?

Sladek:  Natürlich haben die Mitglieder unserer Netzkauf EWS Genossenschaft auch die Absicht, Gewinn zu erzielen. Das halte ich für absolut legitim. Die Frage ist nur, wie hoch diese Renditen sein müssen. Bei uns ist es so: Aufsichtsrat und Vorstand schlagen in der Gesellschafterversammlung die Höhe der Rendite vor. Dabei wird die Dividende bei uns nicht über 4 Prozent liegen. Diese 4 Prozent wollen wir nicht überschreiten. Sie bedeuten für uns eine Art „Gierbremse“.
Wir konnten in den letzten Jahren immer diese 4 Prozent ausschütten. Aber es besteht keinerlei Garantie, dass das in den nächsten Jahren immer so sein muss. Die finanzielle Beteiligung an einer Genossenschaft hat neben Chancen eben auch Risiken. Um das Risiko zu minimieren, hat die EWS ein breites Unternehmensportfolio: Gas- und Stromnetze, bundesweiter Vertrieb von Gas und Strom, Investitionen in Erneuerbare Energieanlagen und Beteiligungen bei kommunalen Unternehmen.

ECOreporter.de: Wir danken für das Gespräch, Herr Sladek.




Im Fokus: die gute und die dunkle Seite der Finanzwelt

Was macht eigentlich mein Geld, wenn ich es einer Bank anvertraue? Dieser Frage ist die Nicht-Regierungsorganisation (NGO) 'urgewald' nachgegangen und hat ECOreporter.de damit beauftragt, in einer Broschüre darüber zu berichten, wofür nachhaltige Banken die Gelder ihrer Kunden einsetzen. Das Interview stammt aus dieser Publikation. Darin werden außerdemn die GLS Bank, die Ethikbank und die Triodos Bank ausführlich vorgestellt. Die Broschüre enthält auch von ECOreporter.de verfasste Features von Kreditkunden dieser nachhaltigen Finanzinstitute. Darin erfährt man, welche nachhaltigen Projekte sie dank der Darlehen dieser „grünen“ Banken umsetzen konnten. Ferner widmet sich die Broschüre den Kirchenbanken, auch sie vergeben Kredite an nachhaltige Projekte und investieren nach sozial-ökologischen Grundsätzen. Näheres zu der gedruckten Publikation erfahren Sie  hier.

Bild: Die Broschüre "Was macht eigentlich mein Geld ist 2014 erschienen.
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