Erneuerbare Energie, Anleihen / AIF

Grünstromausbau statt Kappung der Solarstromtarife – Michael Sladek von den "Stromrebellen" aus Schönau im Gespräch



ECOreporter.de: Die Elektrizitätswerke Schönau haben einen Kooperationsvertrag mit der Stadt Stuttgart geschlossen. Wie lange werden Sie die Stadt nun mit wie viel Strom und Gas versorgen?

Michael Sladek: Bislang hat die EWS mit der Stadt Stuttgart den Grundstein dazu gelegt, eine gemeinsame Vertriebsgesellschaft in Form einer GmbH zu gründen.  Die Vertragsverhandlungen dauern noch an.  Partner der EWS bei dieser Vertriebsgesellschaft sollen die Stadtwerke Stuttgart werden, eine 100-prozentige Tochter der Stadt. Wie lange die Kooperation laufen soll, ist bewusst offen gehalten. Das heißt: ein Ende der angestrebten Kooperation wurde nicht  festgeschrieben. Wir planen, bis 2020 über diesen  65.000 Tarifkunden für Strom und 28.000 Kunden im Gasbereich zu gewinnen. Beide Produkte sollen dabei den strikten Ökostrom-Kriterien der EWS entsprechen, also zu 100 Prozent aus regenerativen Quellen stammen.

ECOreporter.de: Inwiefern stößt die EWS mit einem neuen Großkunden wie der Stadt Stuttgart an ihre Grenzen - haben Sie aktuell schon ausreichend Potenzial um diesen Energie- und Gasbedarf zu decken?


Sladek: Wenn die Kooperation die Größenordnung dessen, was die EWS zu leisten im Stande ist überschritten hätte, hätten wir uns nicht um die Zusammenarbeit bemüht. Wenn unsere Pläne bis 2020 aufgehen, würden wir bis zum Jahr 2020 rund 155 Millionen Kilowattstunden (kWh) Strom und 55 Millionen Kilowattstunden Gas liefern. Das entspräche etwas mehr als 15 Prozent des Marktanteils der Stromkunden der Stadt und zwischen 18 und 19 Prozent beim Gas. Im vergangenen Jahr hat die EWS  130.000 Stromkunden mit knapp 550 Millionen kWh Ökostrom versorgt. In diesem Sinne ist die Kooperation mit der Stadt Stuttgart, bei der in den kommenden acht Jahren rund 200 Millionen kWh Strom hinzukommen sollen, zwar speziell gesellschaftspolitisch ein Quantensprung, sicherlich aber nicht zu groß für EWS.  Allerdings gilt es nun für uns, die dafür nötigen Strukturen zu schaffen, wie ein Vertriebsbüro vor Ort. Daran arbeiten wir.  Für solche Dinge müssen wir zunächst Geld in die Hand nehmen.  Ab 2014 soll die neue Gesellschaft schwarze Zahlen schreiben.


ECOreporter.de: Ihr neues Ökostromprodukt soll nach wie vor zu 100 Prozent grün sein. An welche regenerativen Energiequellen denken Sie dabei?

Sladek:  Etwas aus unserer Sicht sehr Erfreuliches, das aus den Gesprächen bislang herauskam ist, dass die Stadt Stuttgart dabei stark in den Ausbau der Erneuerbaren Energien auf regionaler Ebene setzen möchte - nicht auf Offshore-Windenergie, die von weit her in die Region transportiert werden müsste. Das ist ganz in unserem Sinne.

ECOreporter.de: Inwiefern gibt es für die Stadt und die Region noch Ausbaupotenziale?

Sladek:  In der Region Stuttgart gibt es noch einiges Potenzial für Onshore-Windkraft in den Höhenlagen. Bei der dichten Wohnbebauung sehen wir allerdings auch noch weiteres Ausbaupotenzial für Photovoltaik. Außerdem wollen wir - wie andernorts in der Vergangenheit - auch in Stuttgart auf Nahwärmeinseln mit Blockheizkraftwerken und Kraftwärme-Kopplungstechnologie setzen. Die EnBW betreibt zwar jetzt schon ein Nahwärmenetz, aber das Potential ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Deshalb wollen wir gemeinsam mit den Stadtwerken neue Wärmenetze aufbauen. Unser Ziel ist es, die Dezentralisierung der Energieversorgung in der Stadt und der Region voranzutreiben.

Bildnachweis: Die Elektrizitätswerke Schönau setzen auf Erneuerbare Energien. / Quelle: ECOreporter.de


ECOreporter.de: Welche Rolle könnte und sollen Bürgerbeteiligungsangebote dabei eine Rolle spielen?

Sladek: Bürgerbeteiligungen sind ausdrücklich gewollt, beispielsweise am Stromnetz. Ein vergleichbares Modell verfolgt die EWS bereits in Titisee-Neustadt. Dort ist eine Bürgergenossenschaft neben uns eine von drei Gesellschafterinnen am Stromnetz, die in dem Fall zehn Prozent der Anteile hat und damit auch ein entsprechendes Mitspracherecht und politisches Gewicht. Solche Genossenschaftsmodelle sind auch für Stuttgart denkbar.

ECOreporter.de: Mit den hohen Minusgraden der vergangenen Wochen wurden Befürchtungen laut, der Strom aus Erneuerbaren-Energien sei nicht allein in der Lage, die Versorgung in langen Kälteperioden sicherzustellen. Was ist dran an solchen Szenarien?

Sladek: In der Extremwetterperiode ab Ende Januar hat die Stromerzeugung aus  Photovoltaikanlagen dazu beigetragen, dass die Strombedarfsspitze in den Mittagsstunden deutlich abgesenkt wurde. Die Photovoltaik hat wie andere Erneuerbare-Energien ihren Beitrag zur Stromproduktion unabhängig von Kälte und Wind geleistet. Das haben auch die Zahlen der Bundesnetzagentur bestätigt. Große Kälte ist kein Problem der Erneuerbaren Energien, sondern eine generelle energetische Herausforderung. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass Deutschland in dieser Zeit Strom in das Atomstrom-Land Frankreich exportierte, weil dort mit Strom geheizt wird. Wenn in solchen Kälteperioden auch noch das Wasser in den Flüssen knapp wird, nutzt auch kein Atomkraftwerk mehr.

ECOreporter.de: In der aktuellen politischen Diskussion scheint das ganze Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zur Disposition zu stehen. Inwiefern sind ein „Zubau-Deckel“ bei 1.000 MW Photovoltaik oder die monatliche Absenkung der Vergütungstarife richtige oder falsche Schritte auf dem Weg in die Energiewende?

Sladek:
Wir stehen in dieser Diskussion vor einem Grundkonflikt. Einerseits ist die Atomkraft gesellschaftspolitisch geächtet. Andererseits wird weiter an den zentralistischen Großstrukturen der Energieversorgung der Vergangenheit festgehalten. Die Vorschläge zur Begrenzung des Photovoltaikzubau auf 1.000 Megawatt pro Jahr zielen in ebendiese Richtung. Das Festhalten an solchen Strukturen gefährdet die bisherige Erfolgsgeschichte des EEG und die Energiewende. Wir brauchen hier ein Umdenken, weg vom Zentralismus hin zur dezentralen Versorgung. Zudem muss der technische Fortschritt bei den Erneuerbaren konsequent genutzt und vorangetrieben werden. Ich halte in diesem Zusammenhang die Verstromung von Windgas für eine zukunftsweisende  Technologie.

ECOreporter.de: Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Sladek!

Michael Sladek und die Stromrebellen von Schönau

Michael Sladek, Jahrgang 1946, ist Vorstand und Mitbegründer der Elektrizitätswerke Schönau. Der mittlerweile bundesweit aktive Ökostrom-Anbieter wurde 1994 gegründet. Das Unternehmen entstand aus der Bürgerinitiative Eltern für atomfreie Zukunft, die 1986 nach dem Supergau des Atomreaktors von Tschernobyl ins Leben gerufen worden war und als „Stromrebellen von Schönau“ bekannt wurde. Durch die Initiative von Michael Sladek, seiner Frau Ursula und der zahlreichen Mitstreiter wurde Schönau die erste komplett von Atomstrom unabhängige  deutsche Stadt. Dabei setzten die Stromrebellen seit je her auf dezentrale Netzwerke mit Blockheizkraftwerken und Kraftwärme-Kopplungstechnologie, so genannte Nahwärmeinseln. Für sein Engement wurde der Bundesverdienstkreuzträger Michael Sladek mehrfach ausgezeichnet.

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