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Interview: "Christlichkeit in der Geldanlage ist möglich"
Wie unterscheidet sich die evangelische von der katholischen Geldanlage? Ganz konkret: Beurteilen die beiden Kirchen Gentechnik, Abtreibung und Atomkraft gleich, oder gibt es Differenzen? Dr. Karin Bassler, Geschäftsführerin des Arbeitskreises Kirchlicher Investoren in Darmstadt und Dr. Helge Wulsdorf, Leiter Nachhaltige Geldanlagen bei der Bank für Kirche und Caritas eG in Paderborn, haben das Thema übersichtlich in einem Buch zusammengefasst, das im Januar in der ECOreporter:edition (Link entfernt) erschienen ist. Im Interview erläutern sie einige Grundzüge des evangelischen Leitfadens für die ethisch-nachhaltige Geldanlage und der katholischen Orientierungshilfe.
ECOreporter: Ob es um Altenpflege geht, um Krankenhäuser oder Kindergärten: Hier setzen kirchliche Einrichtungen ihr Geld ein und erbringen soziale Leistungen. Warum eigentlich sollen sie Geld, solange sie es nicht benötigen, nach ethischen oder nachhaltigen Kriterien investieren – es wirkt doch spätestens dann glaubensgemäß, wenn es eingesetzt wird?
Dr. Helge Wulsdorf: Der wesentliche Auftrag der Kirchen ist es, sozial-caritative und diakonische Dienstleistungen zu erbringen und zu finanzieren. Klar, hier tun die Kirchen mit ihrem Geld Gutes, das sieht und versteht jeder sofort. Doch solange das Geld noch nicht benötigt wird, bewirkt es bereits etwas. Es gibt schließlich keine Geldanlage ohne Wirkung.
Dr. Karin Bassler: Das hängt damit zusammen, dass investiertes Geld Eigentum des Anlegers bleibt. Und „Eigentum verpflichtet“ - so steht es im Grundgesetz, und das nehmen die Kirchen sehr ernst. Sie beschäftigen sich schon lange mit den Folgen und Wirkungen der Geldanlage…
Wulsdorf: …und sie wollen mit ihrer Geldanlage positive soziale und ökologische Wirkungen im Sinne einer christlichen Wertorientierung erzielen. Schließlich ist das kirchliche Finanzwesen ein Bestandteil kirchlicher Arbeit. Das heißt, auch in den Finanzen sollen christliche Werte weitestmöglich umgesetzt werden.
Bildhinweis: Dr. Karin Bassler, Geschäftsführerin des Arbeitskreises Kirchlicher Investoren (AKI) in Darmstadt / Foto: AKI
ECOreporter: „Geld muss dienen und nicht regieren“, hat Papst Franziskus gesagt. Dient es nicht dann am meisten, wenn es möglichst hohe Zinsen erzielt, um kirchliche Aufträge zu erfüllen – und behindern inhaltliche Kriterien nicht die Rendite einer Geldanlage?
Wulsdorf: Das von den Kirchen für ihre Zwecke benötigte Geld hat einen klaren Dienstcharakter. Es handelt sich schließlich um treuhänderisch verwaltetes Vermögen, das für die zahlreichen Dienste in Kirche, Caritas und Diakonie benötigt wird. Es gehört zur Verantwortung der Kirchen, mit den ihnen anvertrauten Geldern wirtschaftlich zu arbeiten. Sie stehen damit fortwährend im Spannungsfeld von ethisch Gewolltem und finanziell Machbarem. Das ethisch-nachhaltige Investment ist für die Kirchen das passende Instrument, um ihre christliche Wertorientierung unter den realen Bedingungen des Kapitalmarktes umzusetzen. Es lebt vor allem davon, dass es glaubwürdig ethische Anlagekriterien transparent macht und gut gemanagt wird. Ethisch-nachhaltige Anlagekriterien bedeuten nicht zwangsläufig Renditeeinbußen. Im Gegenteil: Mit ihnen lassen sich sogar nichtfinanzielle Risiken aufspüren, die der Rendite eines langfristigen Investors sogar eher förderlich als abträglich sind.
ECOreporter: Nun haben die evangelische und die katholische Kirche Kriterien für die Geldanlage aufgestellt. Wie und wann ist es dazu gekommen?
Bassler: Was die evangelische Kirche betrifft, war es so: Nur wenige Monate nach dem Höhepunkt der Finanzkrise im September 2008 hat ein Arbeitskreis, den der Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) beauftragte, die Arbeit an einem Leitfaden aufgenommen. Dieser Arbeitskreis bestand aus institutionellen Anlegern aus verschiedenen kirchlichen Bereichen. Ziel war, das Thema Nachhaltigkeit in der Geldanlage aus evangelischer Sicht auszuformulieren. Der Kreis hat sich diese Aufgabe nicht leicht gemacht und von Anfang auch kirchliche Nachhaltigkeitsexpertise einbezogen. Das Ergebnis war dann 2011 der Leitfaden für ethisch-nachhaltige Geldanlage in der evangelischen Kirche. Damit ging die Arbeit aber erst so richtig los, denn der Leitfaden stieß auf weit größere Resonanz als erwartet.
Wulsdorf: Das Thema Kirche und Geld wird in der Öffentlichkeit zunehmend kritisch diskutiert. Wie viel Geld hat die Kirche? Nach welchen Kriterien legt sie ihr Vermögen an? Nicht zuletzt: Wozu benötigt sie ihr Vermögen? All das sind Fragen, denen sich die katholische Kirche stellen muss. Glaubwürdigkeit und Transparenz sind die zentralen Leitmotive, die kirchliches Handeln hier verstärkt auszeichnen müssen. Das Pendant zum evangelischen Leitfaden ist die katholische Orientierungshilfe. Sie liefert erstmalig einen Überblick über das ethisch-nachhaltige Investment insgesamt. Sie zeigt, was möglich ist, welche Chancen und Risiken mit dieser Anlageform verbunden sind und wie sich eine christliche Wertorientierung in der Geldanlage verwirklichen lässt.
ECOreporter: Wie verbindlich sind Leitfaden und Orientierungshilfe für kirchliche Einrichtungen?
Bassler: Der evangelische Leitfaden ist kein Gesetz, sondern eine Hilfe – was bei der katholischen Orientierungshilfe ja schon im Namen steht.
Wulsdorf: Beide Papiere verstehen sich als Sensibilisierungsinstrument für das Thema und als Entscheidungshilfe für Finanzverantwortliche. Die Texte fordern die zahlreichen Einrichtungen in Kirche, Caritas und Diakonie heraus, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Sie wollen die Finanzverantwortlichen sprach-, urteils- und handlungsfähig machen – dies immer vor dem Hintergrund spezieller Anforderungen, denen die jeweilige Einrichtung verpflichtet ist.
Bassler: Und sie sind dazu ein starkes Signal an die Öffentlichkeit. Viele kirchliche Anleger nehmen darauf Bezug. Sie bewegen sich auf den Kapitalmärkten und allein dadurch, dass unsere beiden Papiere dort ins Gespräch gebracht werden, legen sie dort auch Zeugnis ab – in einer Umgebung, die sonst eher kirchenfern ist.
ECOreporter: Nennen Sie uns doch bitte einige Gemeinsamkeiten für die ethisch-nachhaltige Geldanlage aus evangelischer und katholischer Sicht.
Wulsdorf: Die Synopse (Anmerkung der Redaktion: näheres zu diesem Buch erfahren Sie hier (Link entfernt)) zeigt eines: die Gemeinsamkeiten überwiegen. Es fängt schon bei der identischen Wortwahl an. Evangelische und katholische Kirche reden beide von der ethisch-nachhaltigen Geldanlage. Gemeinsam ist beiden Texten auch, dass die drei Ansätze des nachhaltigen Investments diskutiert werden: Ausschlusskriterien, Best-in-Class-Ansatz und Engagement. Beide Kirchen wissen zudem darum, dass sich die ethisch-nachhaltige Geldanlage nicht einfach im Sinn eines Schwarz-Weiß-Schemas umsetzen lässt. Die Realität der Kapitalmärkte kennt nur Graustufen, so dass eine hundertprozentig ethisch-nachhaltige Geldanlage, ein ethisch einwandfreies Investment gar nicht möglich ist.
Bildhinweis: Dr. Helge Wulsdorf, Leiter Nachhaltige Geldanlagen bei der Bank für Kirche und Caritas eG in Paderborn / Foto: Bank für Kirche und Caritas
Bassler: Auch inhaltlich gibt es bei den Kriterien viele Übereinstimmungen. Es geht beiden Seiten darum, dass etwas vom kirchlichen Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung auch in den Kriterien für Geldanlagen deutlich wird, darum spielen z.B. Menschenrechtsfragen und Waffen eine wichtige Rolle.
ECOreporter: Gibt es eine große Linie, bei der sich die Geldanlagen der beiden Konfessionen unterscheiden?
Wulsdorf: Die Entstehungskontexte der beiden Texte sind gänzlich unterschiedlich. Der evangelische Text ist in erster Auflage bereits 2011 erschienen, der katholische vier Jahre später. Inzwischen ist auf evangelischer Seite die dritte Auflage in Planung. Ziel der katholischen Orientierungshilfe ist es, einen möglichst guten und verständlichen Überblick über die Thematik zu geben. Der katholische Text geht damit deutlich mehr in die Breite als der evangelische Leitfaden, der an vielen Stellen in die Tiefe geht.
Bassler: Gemeint ist damit, dass der evangelische Leitfaden nicht nur Kriterien, sondern auch Konkretisierungen wie Umsatzschwellen und Indikatoren nennt. Das macht ihn im Unterschied zur katholischen Orientierungshilfe im Prinzip eins zu eins umsetzbar. Dafür zählt die Orientierungshilfe mehr Kriterien auf. Außerdem wagt sich der evangelische Leitfaden stärker auf das schwierige Terrain der Alternativen Investments und betrachtet auch Anlageklassen wie Derivate, Agrarinvestitionen und Unternehmensbeteiligungen aus ethisch-nachhaltiger Sicht.
ECOreporter: Dann nehmen wir einzelne Kriterien wie die Abtreibung: Wo liegen hier die Unterschiede? Und könnten Sie gleich anfügen, ob oder wie sich das in der Praxis, am Beispiel, auswirkt?
Wulsdorf: Abtreibung ist eines der katholischen Ausschlusskriterien, die im evangelischen Leitfaden nicht aufgeführt sind. Ausgeschlossen werden damit beispielsweise börsennotierte Klinikkonzerne, die Abtreibungen praktizieren. Auch zählen hierzu Pharmakonzerne, die etwa die so genannte „Pille danach“ herstellen.
ECOreporter: Wie ist es bei Themen wie Atomkraft oder Gentechnik?
Wulsdorf: Die katholische Orientierungshilfe schließt Investments in Atomenergie aus, denn diese zeichnet sich durch erhöhte Restrisiken für die Gesellschaft und Umwelt aus. Dies wissen wir nicht erst seit Tschernobyl und Fukushima. Insbesondere werden den zukünftigen Generationen mit dem Atommüll Hypotheken aufgebürdet, die ihre Handlungsspielräume deutlich einschränken werden. Atomkraft ist ein Kriterium, dass sowohl die Betreiber von Atomkraftwerken als auch deren Produzenten betrifft.
Bildhinweis: Beide Kirchen sehen die Atomkraft kritisch. Im Bild das Kernkraftwerk Temlin. / Quelle: Fotolia
Bassler: Atomstrom wird zwar im Leitfaden nicht als Ausschlusskriterium vorgeschlagen, einzelne evangelische Investoren schließen aber die Atomstromproduktion aus, und zwar mit genau den Argumenten, die Herr Wulsdorf eben nannte. Bei Grüner Gentechnik sind sich die beiden Papiere einig: Ausgeschlossen sind vor allem Unternehmen, die gentechnisch verändertes Saatgut herstellen. Die Risiken werden auf verschiedenen Ebenen gesehen: Umwelt, Gesundheit, Ernährungssicherheit, Monopolbildung und Biopatente. Das Thema entwickelt sich jedoch beständig weiter, und das Kriterium muss daher differenziert betrachtet und gegebenenfalls angepasst werden.
ECOreporter: Gibt es Unterschiede bei Rüstung, Waffen, Waffenzulieferern?
Bassler: Nein, beide Papiere verweisen hier auf den grundsätzlichen Widerspruch zum aus Kirchensicht übergeordneten Ziel des Friedens und betonen insbesondere den Ausschluss international geächteter Waffen.
ECOreporter: Gibt es bestimmte Geldanlageformen, etwa besonders spekulative, welche die Kirchen ablehnen?
Wulsdorf: Es ist nicht Aufgabe der katholischen Orientierungshilfe, bestimmte Anlageklassen von vornherein zu verdammen, als „vom Bösen“ hinzustellen, zumal es keine allgemeinverbindliche Definition dafür gibt, was denn besonders spekulativ ist. Bei jeder Anlageklasse ist sehr genau zu prüfen, ob und inwieweit sich Nachhaltigkeitsansätze umsetzen lassen und welche Risiken damit für das eigene Portfolio verbunden sind. Gerade volumenstarke Einrichtungen müssen sich in der Niedrigzinsphase bei der Diversifizierung ihres Vermögens mit zahlreichen neuen und auch risikoreicheren Anlageklassen, so genannten alternativen Investments, auseinandersetzen und hierzu Position beziehen.
Bassler: Der evangelische Leitfaden setzt sich beispielsweise mit Nahrungsmittelspekulationen und Derivaten eingehend auseinander und urteilt differenziert: Solange der Verdacht auf eine Beeinflussung der Nahrungsmittelpreise durch Termingeschäfte und den Handel mit den entsprechenden Zertifikaten und Fonds nicht ausgeräumt werden kann, sind sie ausgeschlossen. Bei Derivaten im Allgemeinen gilt, dass so genannte ungedeckte Leerverkäufe ebenso vermieden werden sollen wie die Teilnahme am Sekundenhandel.
ECOreporter: Bisher haben wir über Negativkriterien gesprochen, also über den Ausschluss bestimmter Geschäftsgebiete bei der Geldanlage. Wie stehen die Kirchen zu Positivkriterien, und unterscheiden sich hier die evangelische und katholische Position?
Wulsdorf: Das ethisch-nachhaltige Investment besteht nicht nur aus Ausschlusskriterien, auch wenn viele meinen, damit wäre es getan. Qualitativ hochwertige und anspruchsvolle Investmentansätze verbinden Ausschlüsse mit dem Best-in-Class-Ansatz als weiterem wichtigen Baustein ethisch-nachhaltiger Geldanlage. Die katholische Orientierungshilfe nennt hierzu zwar keine detaillierte Auflistung von Positiv- und Negativkriterien – dies würde zu weit führen – sie hält aber fest, dass mit einem ausgefeilten Best-in-Class-Ansatz die Ertragschancen gesteigert und die Risiken vermindert werden können.
Bassler: Der evangelische Leitfaden formuliert Positivkriterien für Unternehmen und – ganz neu – auch für Staaten. Eine wichtige Erkenntnis dabei war für uns, dass Entwicklungs- und Schwellenländer fairerweise nicht mit den gleichen Maßstäben beurteilt werden können wie OECD-Länder. Ein Wert - etwa im Bezug auf soziale Ungleichheit oder Korruption -, der bei einem entwickelten Land inakzeptabel wäre, kann bei einem Staat im Süden eine ganz neue Bedeutung erlangen, wenn Tendenzen und Entwicklungen über mehrere Jahre hinweg berücksichtigt werden. Lassen sich dabei kontinuierliche Verbesserungen feststellen, dann ist ein Positivkriterium erfüllt, denn es entspricht der christlichen Idee von Buße und Umkehr, solche Staaten zu unterstützen und deren Anleihen – wenn technisch möglich – bevorzugt zu kaufen. Schließlich heißt es schon in Hesekiel 33,11: „Ich habe kein Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern dass der Gottlose umkehre von seinem Wege und lebe.“
ECOreporter: Was glauben Sie, wie können sich die beiden Kirchen bei der ethisch-nachhaltigen Geldanlage weiterentwickeln, welche Themen stehen in den nächsten Jahren an - und werden die Kirchen eher aufeinander zugehen oder sich abgrenzen?
Wulsdorf: „Gemeinsam auf dem Weg“ – nicht ohne Grund haben wir diese Überschrift für eines der Synopsenkapitel gewählt. Es gibt weder eine katholische noch eine evangelische Geldanlage. Es geht um die gemeinsame christliche Wertorientierung. Die Gemeinsamkeiten überwiegen derart, dass die beiden Kirchen problemlos das Gespräch suchen können, wenn sie es nicht schon längst getan haben. Bestimmte Themen, etwa „Engagement“, lassen sich womöglich zusammen viel effektiver, effizienter und auch schlagkräftiger als alleine gestalten. Gemeinsame Baustellen der ethisch-nachhaltigen Geldanlage gibt es genügend. Als ökumenisches Autorenteam haben wir diese weiter im Blick und werden die eine oder andere in hoffentlich zunehmend enger Abstimmung bearbeiten.
Bassler: Dem kann ich mich nur anschließen. Wir haben dem Autorenkreis des evangelischen Leitfadens kürzlich eine neue Ordnung gegeben, um genau solche Kooperationen möglich zu machen. Der Arbeitskreis Kirchlicher Investoren will sich mit anderen kirchlichen Anlegern gemeinsam auf den Weg machen – wobei der Bereich koordiniertes Engagement künftig stark an Bedeutung gewinnen wird. Was kirchliche Investoren alles erreichen können, wenn sie gemeinsam auf Unternehmen zugehen, das probieren wir gerade aus, und die Ergebnisse sind sehr vielversprechend.
ECOreporter: Danke für das Gespräch, Frau Dr. Bassler und Dr. Wulsdorf!
Das Buch ist in der ECOreporter:edition (Link entfernt) erschienen.
ECOreporter: Ob es um Altenpflege geht, um Krankenhäuser oder Kindergärten: Hier setzen kirchliche Einrichtungen ihr Geld ein und erbringen soziale Leistungen. Warum eigentlich sollen sie Geld, solange sie es nicht benötigen, nach ethischen oder nachhaltigen Kriterien investieren – es wirkt doch spätestens dann glaubensgemäß, wenn es eingesetzt wird?
Dr. Helge Wulsdorf: Der wesentliche Auftrag der Kirchen ist es, sozial-caritative und diakonische Dienstleistungen zu erbringen und zu finanzieren. Klar, hier tun die Kirchen mit ihrem Geld Gutes, das sieht und versteht jeder sofort. Doch solange das Geld noch nicht benötigt wird, bewirkt es bereits etwas. Es gibt schließlich keine Geldanlage ohne Wirkung.

Wulsdorf: …und sie wollen mit ihrer Geldanlage positive soziale und ökologische Wirkungen im Sinne einer christlichen Wertorientierung erzielen. Schließlich ist das kirchliche Finanzwesen ein Bestandteil kirchlicher Arbeit. Das heißt, auch in den Finanzen sollen christliche Werte weitestmöglich umgesetzt werden.
Bildhinweis: Dr. Karin Bassler, Geschäftsführerin des Arbeitskreises Kirchlicher Investoren (AKI) in Darmstadt / Foto: AKI
ECOreporter: „Geld muss dienen und nicht regieren“, hat Papst Franziskus gesagt. Dient es nicht dann am meisten, wenn es möglichst hohe Zinsen erzielt, um kirchliche Aufträge zu erfüllen – und behindern inhaltliche Kriterien nicht die Rendite einer Geldanlage?
Wulsdorf: Das von den Kirchen für ihre Zwecke benötigte Geld hat einen klaren Dienstcharakter. Es handelt sich schließlich um treuhänderisch verwaltetes Vermögen, das für die zahlreichen Dienste in Kirche, Caritas und Diakonie benötigt wird. Es gehört zur Verantwortung der Kirchen, mit den ihnen anvertrauten Geldern wirtschaftlich zu arbeiten. Sie stehen damit fortwährend im Spannungsfeld von ethisch Gewolltem und finanziell Machbarem. Das ethisch-nachhaltige Investment ist für die Kirchen das passende Instrument, um ihre christliche Wertorientierung unter den realen Bedingungen des Kapitalmarktes umzusetzen. Es lebt vor allem davon, dass es glaubwürdig ethische Anlagekriterien transparent macht und gut gemanagt wird. Ethisch-nachhaltige Anlagekriterien bedeuten nicht zwangsläufig Renditeeinbußen. Im Gegenteil: Mit ihnen lassen sich sogar nichtfinanzielle Risiken aufspüren, die der Rendite eines langfristigen Investors sogar eher förderlich als abträglich sind.
ECOreporter: Nun haben die evangelische und die katholische Kirche Kriterien für die Geldanlage aufgestellt. Wie und wann ist es dazu gekommen?
Bassler: Was die evangelische Kirche betrifft, war es so: Nur wenige Monate nach dem Höhepunkt der Finanzkrise im September 2008 hat ein Arbeitskreis, den der Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) beauftragte, die Arbeit an einem Leitfaden aufgenommen. Dieser Arbeitskreis bestand aus institutionellen Anlegern aus verschiedenen kirchlichen Bereichen. Ziel war, das Thema Nachhaltigkeit in der Geldanlage aus evangelischer Sicht auszuformulieren. Der Kreis hat sich diese Aufgabe nicht leicht gemacht und von Anfang auch kirchliche Nachhaltigkeitsexpertise einbezogen. Das Ergebnis war dann 2011 der Leitfaden für ethisch-nachhaltige Geldanlage in der evangelischen Kirche. Damit ging die Arbeit aber erst so richtig los, denn der Leitfaden stieß auf weit größere Resonanz als erwartet.
Wulsdorf: Das Thema Kirche und Geld wird in der Öffentlichkeit zunehmend kritisch diskutiert. Wie viel Geld hat die Kirche? Nach welchen Kriterien legt sie ihr Vermögen an? Nicht zuletzt: Wozu benötigt sie ihr Vermögen? All das sind Fragen, denen sich die katholische Kirche stellen muss. Glaubwürdigkeit und Transparenz sind die zentralen Leitmotive, die kirchliches Handeln hier verstärkt auszeichnen müssen. Das Pendant zum evangelischen Leitfaden ist die katholische Orientierungshilfe. Sie liefert erstmalig einen Überblick über das ethisch-nachhaltige Investment insgesamt. Sie zeigt, was möglich ist, welche Chancen und Risiken mit dieser Anlageform verbunden sind und wie sich eine christliche Wertorientierung in der Geldanlage verwirklichen lässt.
ECOreporter: Wie verbindlich sind Leitfaden und Orientierungshilfe für kirchliche Einrichtungen?
Bassler: Der evangelische Leitfaden ist kein Gesetz, sondern eine Hilfe – was bei der katholischen Orientierungshilfe ja schon im Namen steht.
Wulsdorf: Beide Papiere verstehen sich als Sensibilisierungsinstrument für das Thema und als Entscheidungshilfe für Finanzverantwortliche. Die Texte fordern die zahlreichen Einrichtungen in Kirche, Caritas und Diakonie heraus, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Sie wollen die Finanzverantwortlichen sprach-, urteils- und handlungsfähig machen – dies immer vor dem Hintergrund spezieller Anforderungen, denen die jeweilige Einrichtung verpflichtet ist.
Bassler: Und sie sind dazu ein starkes Signal an die Öffentlichkeit. Viele kirchliche Anleger nehmen darauf Bezug. Sie bewegen sich auf den Kapitalmärkten und allein dadurch, dass unsere beiden Papiere dort ins Gespräch gebracht werden, legen sie dort auch Zeugnis ab – in einer Umgebung, die sonst eher kirchenfern ist.
ECOreporter: Nennen Sie uns doch bitte einige Gemeinsamkeiten für die ethisch-nachhaltige Geldanlage aus evangelischer und katholischer Sicht.

Bildhinweis: Dr. Helge Wulsdorf, Leiter Nachhaltige Geldanlagen bei der Bank für Kirche und Caritas eG in Paderborn / Foto: Bank für Kirche und Caritas
Bassler: Auch inhaltlich gibt es bei den Kriterien viele Übereinstimmungen. Es geht beiden Seiten darum, dass etwas vom kirchlichen Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung auch in den Kriterien für Geldanlagen deutlich wird, darum spielen z.B. Menschenrechtsfragen und Waffen eine wichtige Rolle.
ECOreporter: Gibt es eine große Linie, bei der sich die Geldanlagen der beiden Konfessionen unterscheiden?
Wulsdorf: Die Entstehungskontexte der beiden Texte sind gänzlich unterschiedlich. Der evangelische Text ist in erster Auflage bereits 2011 erschienen, der katholische vier Jahre später. Inzwischen ist auf evangelischer Seite die dritte Auflage in Planung. Ziel der katholischen Orientierungshilfe ist es, einen möglichst guten und verständlichen Überblick über die Thematik zu geben. Der katholische Text geht damit deutlich mehr in die Breite als der evangelische Leitfaden, der an vielen Stellen in die Tiefe geht.
Bassler: Gemeint ist damit, dass der evangelische Leitfaden nicht nur Kriterien, sondern auch Konkretisierungen wie Umsatzschwellen und Indikatoren nennt. Das macht ihn im Unterschied zur katholischen Orientierungshilfe im Prinzip eins zu eins umsetzbar. Dafür zählt die Orientierungshilfe mehr Kriterien auf. Außerdem wagt sich der evangelische Leitfaden stärker auf das schwierige Terrain der Alternativen Investments und betrachtet auch Anlageklassen wie Derivate, Agrarinvestitionen und Unternehmensbeteiligungen aus ethisch-nachhaltiger Sicht.
ECOreporter: Dann nehmen wir einzelne Kriterien wie die Abtreibung: Wo liegen hier die Unterschiede? Und könnten Sie gleich anfügen, ob oder wie sich das in der Praxis, am Beispiel, auswirkt?
Wulsdorf: Abtreibung ist eines der katholischen Ausschlusskriterien, die im evangelischen Leitfaden nicht aufgeführt sind. Ausgeschlossen werden damit beispielsweise börsennotierte Klinikkonzerne, die Abtreibungen praktizieren. Auch zählen hierzu Pharmakonzerne, die etwa die so genannte „Pille danach“ herstellen.
ECOreporter: Wie ist es bei Themen wie Atomkraft oder Gentechnik?
Wulsdorf: Die katholische Orientierungshilfe schließt Investments in Atomenergie aus, denn diese zeichnet sich durch erhöhte Restrisiken für die Gesellschaft und Umwelt aus. Dies wissen wir nicht erst seit Tschernobyl und Fukushima. Insbesondere werden den zukünftigen Generationen mit dem Atommüll Hypotheken aufgebürdet, die ihre Handlungsspielräume deutlich einschränken werden. Atomkraft ist ein Kriterium, dass sowohl die Betreiber von Atomkraftwerken als auch deren Produzenten betrifft.
Bildhinweis: Beide Kirchen sehen die Atomkraft kritisch. Im Bild das Kernkraftwerk Temlin. / Quelle: Fotolia
Bassler: Atomstrom wird zwar im Leitfaden nicht als Ausschlusskriterium vorgeschlagen, einzelne evangelische Investoren schließen aber die Atomstromproduktion aus, und zwar mit genau den Argumenten, die Herr Wulsdorf eben nannte. Bei Grüner Gentechnik sind sich die beiden Papiere einig: Ausgeschlossen sind vor allem Unternehmen, die gentechnisch verändertes Saatgut herstellen. Die Risiken werden auf verschiedenen Ebenen gesehen: Umwelt, Gesundheit, Ernährungssicherheit, Monopolbildung und Biopatente. Das Thema entwickelt sich jedoch beständig weiter, und das Kriterium muss daher differenziert betrachtet und gegebenenfalls angepasst werden.
ECOreporter: Gibt es Unterschiede bei Rüstung, Waffen, Waffenzulieferern?
Bassler: Nein, beide Papiere verweisen hier auf den grundsätzlichen Widerspruch zum aus Kirchensicht übergeordneten Ziel des Friedens und betonen insbesondere den Ausschluss international geächteter Waffen.
ECOreporter: Gibt es bestimmte Geldanlageformen, etwa besonders spekulative, welche die Kirchen ablehnen?
Wulsdorf: Es ist nicht Aufgabe der katholischen Orientierungshilfe, bestimmte Anlageklassen von vornherein zu verdammen, als „vom Bösen“ hinzustellen, zumal es keine allgemeinverbindliche Definition dafür gibt, was denn besonders spekulativ ist. Bei jeder Anlageklasse ist sehr genau zu prüfen, ob und inwieweit sich Nachhaltigkeitsansätze umsetzen lassen und welche Risiken damit für das eigene Portfolio verbunden sind. Gerade volumenstarke Einrichtungen müssen sich in der Niedrigzinsphase bei der Diversifizierung ihres Vermögens mit zahlreichen neuen und auch risikoreicheren Anlageklassen, so genannten alternativen Investments, auseinandersetzen und hierzu Position beziehen.
Bassler: Der evangelische Leitfaden setzt sich beispielsweise mit Nahrungsmittelspekulationen und Derivaten eingehend auseinander und urteilt differenziert: Solange der Verdacht auf eine Beeinflussung der Nahrungsmittelpreise durch Termingeschäfte und den Handel mit den entsprechenden Zertifikaten und Fonds nicht ausgeräumt werden kann, sind sie ausgeschlossen. Bei Derivaten im Allgemeinen gilt, dass so genannte ungedeckte Leerverkäufe ebenso vermieden werden sollen wie die Teilnahme am Sekundenhandel.
ECOreporter: Bisher haben wir über Negativkriterien gesprochen, also über den Ausschluss bestimmter Geschäftsgebiete bei der Geldanlage. Wie stehen die Kirchen zu Positivkriterien, und unterscheiden sich hier die evangelische und katholische Position?
Wulsdorf: Das ethisch-nachhaltige Investment besteht nicht nur aus Ausschlusskriterien, auch wenn viele meinen, damit wäre es getan. Qualitativ hochwertige und anspruchsvolle Investmentansätze verbinden Ausschlüsse mit dem Best-in-Class-Ansatz als weiterem wichtigen Baustein ethisch-nachhaltiger Geldanlage. Die katholische Orientierungshilfe nennt hierzu zwar keine detaillierte Auflistung von Positiv- und Negativkriterien – dies würde zu weit führen – sie hält aber fest, dass mit einem ausgefeilten Best-in-Class-Ansatz die Ertragschancen gesteigert und die Risiken vermindert werden können.
Bassler: Der evangelische Leitfaden formuliert Positivkriterien für Unternehmen und – ganz neu – auch für Staaten. Eine wichtige Erkenntnis dabei war für uns, dass Entwicklungs- und Schwellenländer fairerweise nicht mit den gleichen Maßstäben beurteilt werden können wie OECD-Länder. Ein Wert - etwa im Bezug auf soziale Ungleichheit oder Korruption -, der bei einem entwickelten Land inakzeptabel wäre, kann bei einem Staat im Süden eine ganz neue Bedeutung erlangen, wenn Tendenzen und Entwicklungen über mehrere Jahre hinweg berücksichtigt werden. Lassen sich dabei kontinuierliche Verbesserungen feststellen, dann ist ein Positivkriterium erfüllt, denn es entspricht der christlichen Idee von Buße und Umkehr, solche Staaten zu unterstützen und deren Anleihen – wenn technisch möglich – bevorzugt zu kaufen. Schließlich heißt es schon in Hesekiel 33,11: „Ich habe kein Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern dass der Gottlose umkehre von seinem Wege und lebe.“
ECOreporter: Was glauben Sie, wie können sich die beiden Kirchen bei der ethisch-nachhaltigen Geldanlage weiterentwickeln, welche Themen stehen in den nächsten Jahren an - und werden die Kirchen eher aufeinander zugehen oder sich abgrenzen?
Wulsdorf: „Gemeinsam auf dem Weg“ – nicht ohne Grund haben wir diese Überschrift für eines der Synopsenkapitel gewählt. Es gibt weder eine katholische noch eine evangelische Geldanlage. Es geht um die gemeinsame christliche Wertorientierung. Die Gemeinsamkeiten überwiegen derart, dass die beiden Kirchen problemlos das Gespräch suchen können, wenn sie es nicht schon längst getan haben. Bestimmte Themen, etwa „Engagement“, lassen sich womöglich zusammen viel effektiver, effizienter und auch schlagkräftiger als alleine gestalten. Gemeinsame Baustellen der ethisch-nachhaltigen Geldanlage gibt es genügend. Als ökumenisches Autorenteam haben wir diese weiter im Blick und werden die eine oder andere in hoffentlich zunehmend enger Abstimmung bearbeiten.
Bassler: Dem kann ich mich nur anschließen. Wir haben dem Autorenkreis des evangelischen Leitfadens kürzlich eine neue Ordnung gegeben, um genau solche Kooperationen möglich zu machen. Der Arbeitskreis Kirchlicher Investoren will sich mit anderen kirchlichen Anlegern gemeinsam auf den Weg machen – wobei der Bereich koordiniertes Engagement künftig stark an Bedeutung gewinnen wird. Was kirchliche Investoren alles erreichen können, wenn sie gemeinsam auf Unternehmen zugehen, das probieren wir gerade aus, und die Ergebnisse sind sehr vielversprechend.
ECOreporter: Danke für das Gespräch, Frau Dr. Bassler und Dr. Wulsdorf!
Das Buch ist in der ECOreporter:edition (Link entfernt) erschienen.