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„Nachhaltiges Handeln der Unternehmen ist noch nicht in den Köpfen der Verbraucher angekommen“ - ECOreporter.de-Interview mit Martina Hoffhaus, Expertin für Nachhaltigkeitskommunikation




ECOreporter.de: Was können Kommunikationsprofis für mehr Nachhaltigkeit in unserer Gesellschaft bewirken, welche Rolle spielen sie in der Debatte über Nachhaltigkeitsfragen?

Martina Hoffhaus: Im besten Falle können Kommunikationsprofis für Nachhaltigkeit begeistern bzw. die Einstellung und das Verhalten von Verbrauchern, Mitarbeitern oder Kunden ändern. Sie können versuchen, von der Wichtigkeit des Nachhaltigkeitsengagements zu überzeugen. Sie können Prozesse anstoßen, damit die Risiken im Unternehmen aufgedeckt, Einsparpotenziale ermittelt und Stakeholder stärker ans Unternehmen gebunden werden. Ich sehe den Kommunikationsmanager deshalb nicht nur in der Rolle eines originären Reputationsmanagers, sondern auch als möglichen „Innovationsmanager“ und „Change Agent“ (Betreiber des Wandels, die Red.).
Es sind die Kommunikationsmanager, die am besten einen vollständigen Überblick über die verschiedenen Anspruchsgruppen im Unternehmen haben. Sie sind die Moderatoren unternehmensweiter und abteilungsübergreifender Prozesse und damit eine zentrale Schnittstelle für ein effektives und integriertes CSR-Management.
Ich sehe aber ein Dilemma: Auf der einen Seite ist Nachhaltigkeitskommunikation ein wichtiges Zukunftsthema. Aber im Alltag wird die wichtige strategische Rolle der Kommunikatoren innerhalb des CSR-Managements noch stark unterschätzt. Kurz: Wir verkünden und setzen meist um (sorgen für Image), aber gestalten strategisch kaum mit. Das hat sich die Branche selbst zuzuschreiben, denn unsere Zunft muss ihren Wertbeitrag noch deutlicher formulieren. Notwendig sind ein integriertes Management von Kommunikation und CSR und eine Professionalisierung von CSR-Kommunikation.

ECOreporter.de: Wie hat sich der Markt für Nachhaltigkeitskommunikation in den letzten Jahren entwickelt und warum?

Hoffhaus: Nachhaltiges Handeln der Unternehmen ist noch nicht in den Köpfen der Verbraucher angekommen. 93 % der Verbraucher gaben in einer aktuellen Studie an, dass sie sich darüber unzureichend informiert fühlen. Und 70 % der Verbraucher finden es wichtig, Nachweise über soziale Aktionen der Unternehmen zu bekommen, denn sie wollen ihre Kaufentscheidungen auch daran orientieren: Fast 90 % der Verbraucher würden diejenigen Unternehmen bei einem Kauf vorziehen, die sozial verantwortlich handeln. Immerhin würde fast ein Drittel der Befragten Produkte von erkennbar sozial verantwortlichen Unternehmen auch dann vorziehen, wenn deren Preise im Vergleich zu Mitbewerbern höher liegen. Das ergab eine im November 2009 durchgeführte Studie der Fachhochschule Wiesbaden und der Strategieberatung 2hm & Associates GmbH unter 320 Verbrauchern.

ECOreporter.de: Mit welcher Entwicklung rechnen Sie für die kommenden Jahre?

Hoffhaus: Corporate Social Responsibility (CSR) bzw. Nachhaltigkeit - ich setze beide Begriffe gleich - sind mit die wichtigsten Zukunftsthemen. Der Druck auf die Unternehmen, Stellung zu beziehen, die Nachhaltigkeit etwa der Lieferketten, Produktionsbedingungen etc. zu berücksichtigen, wird weiter wachsen. Die Bedeutung von professioneller Nachhaltigkeitskommunikation wird zunehmen, damit werden auch die Budgets üppiger ausfallen. Unternehmen werden selbstbewusster und mutiger, sich mit CSR-Themen an die Öffentlichkeit zu wagen. CSR-Kommunikation wird zum Wettbewerbsfaktor.

ECOreporter.de: Was macht eine „gute“ Nachhaltigkeitskommunikation aus? Welche Kompetenzen sind dafür erforderlich?

Hoffhaus: Zehn Punkte sind da zu nennen:
1.    Gute CSR-Kommunikation ist mehr als ein reines “Hochglanz-PR- bzw. Marketing-Tool”.
2.    ist Teil eines gut strukturierten und organisierten CSR-Managements und damit strategisch in den entscheidenden Abteilungen verankert.
3.    agiert nach festgesetzten Richtlinien, die alle an der Kommunikation/am Marketing Beteiligten kennen. Das Greenwashing-Potenzial wird gründlich analysiert und jede Kommunikationsmaßnahme daraufhin kritisch überprüft.
4.    bringt Informationen hervor, die relevant, nachvollziehbar, vergleichbar, transparent, glaubwürdig, authentisch und wahrhaftig sind und bietet Lösungen an.
5.    basiert auf einem systematischen Themen-/lssuesmanagement.
6.    hält, was sie verspricht.
7.    vermeidet Negativszenarien. Macht Lust auf Nachhaltigkeit.
8.    begrüßt einen regelmäßigen kritischen Dialog mit der Öffentlichkeit (Stakeholdern) und ist bereit, daraus zu lernen bzw. Veränderungen anzustoßen. Statt „return on invest“ geht es um „return on involvement“.
9.    ist selbstbewusst genug, auch mal Dinge anzusprechen, die weniger positiv sind.
10.    hebt sich mit kreativen, innovativen Ansätzen vom Wettbewerb ab.
Erforderliche Kompetenzen dafür: Es braucht Kommunikationsexperten, die sich gründlich mit der sehr komplexen Materie Nachhaltigkeit/CSR auskennen, weit über den Tellerrand ihrer Profession schauen und vor allem die hohen Risiken abschätzen können (z.B. Greenwashing). Ein CSR-Kom-Profi ist auch gleichzeitig ein guter Moderator, der die vielen beteiligten Bereiche zusammenbringt und führt.

ECOreporter.de: Welche besonderen Herausforderungen gibt es bei diesem Thema?

Hoffhaus: Glaubwürdige Unternehmensverantwortung hat weniger mit der reinen Kommunikation über gute Taten zu tun, als vielmehr mit dem ernsthaften Bemühen, die sozialen und ökologischen Probleme entlang ihrer Wertschöpfungskette zu behandeln. Darüber hinaus gibt es aber auch das Problem, nachhaltigkeitsrelevante Daten zu bekommen, die vergleichbar sind. Es fehlt auch zum Beispiel an abteilungsübergreifender Zusammenarbeit.

ECOreporter.de: Inwiefern unterscheiden sich die Aufgaben und die Möglichkeiten von Nachhaltigkeitskommunikation bei einem Event oder einer einzelnen Kampagne von der Nachhaltigkeitskommunikation eines Unternehmens?

Hoffhaus: Es handelt sich um unterschiedliche Instrumente. Jedes hat seine eigenen Anforderungen. Während ich bei einem Nachhaltigkeitsbericht die internationalen Standards für eine gute Berichterstattung kennen sollte, wissen muss, was eine Materialitätsmatrix ist oder wie Daten/Fakten vergleichbar gemacht werden können, spielt bei einem Event z.B. im Idealfall die Wiederverwertbarkeit von Eventausstattungen eine Rolle, der Ort kann unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten ausgesucht werden (Bau nach Richtlinien, Materialien), der servierte Kaffee kann Fair Trade sein, das Catering Biofood, die Badgets (Namensschilder – die Red.) aus Pappe, die Geschenke vor Ort könnten wieder verwertbar sein und so weiter.
Hier stehen wir am Anfang, aber im LOHAS CompetenceCenter (der Begriff „Lohas“ steht für Lifestyle of Health and Sustainability und bezeichnet einen neuen Typ Verbraucher, der gesund und nachhaltig einkaufen möchte – die Red.) vereinen wir bereits alle aktuellen Dienstleister, die hier Pionierarbeit leisten. Eines jedoch haben alle Instrumente gemein: Die Prinzipien Glaubwürdigkeit, Transparenz, Authentizität gelten immer, sind aber natürlich in der praktischen Umsetzung individuell interpretierbar und hängen vom Auftrag des Unternehmens ab.

ECOreporter.de: Was hat es mit dem LOHAS CompetenceCenter auf sich?

Hoffhaus: Das LOHAS CompetenceCenter (LCC) ist ein Netzwerk ausgewiesener Fachspezialisten unterschiedlicher Disziplinen im Bereich Nachhaltigkeit: Produktentwicklung, Marktforschung, Kommunikation, Trendforschung. Ich habe es Anfang 2008 ins Leben gerufen. Darüber hinaus organisiert das LCC Veranstaltungen, bündelt die LOHAS-Community in Deutschland und international, vermittelt Vorträge zum Thema LOHAS, organisiert Workshops und versteht sich als Plattform, die den Wertewandel in unserer Gesellschaft voranbringen will.
Aber vor allem versteht sich das LCC als Pionier, um die noch junge Disziplin Nachhaltigkeitskommunikation voranzubringen. Unser Anliegen ist es, im Rahmen von Verbänden und Organisationen mehr über strategische Ansätze zu diskutieren, die der Nachhaltigkeitskommunikation gerecht werden und dafür mehr öffentliches Bewusstsein zu schaffen.
Das LOHAS CompetenceCenter ist offizielles Projekt der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ 2009/2010. Außerdem Preisträger der Cartier Women’s Initiative Awards 2009.

ECOreporter.de: Was entgegnen Sie der Behauptung, Nachhaltigkeit sei für Kommunikationsunternehmen ein Geschäft wie jedes andere und werde auch genau so betrieben?

Hoffhaus: Viele Kommunikationsagenturen springen derzeit auf den CSR-Zug auf. Für die mag es stimmen, weil sie neben CSR- Kommunikation noch viele andere Disziplinen anbieten. Dass da dann Greenwashing bei herauskommt, darf nicht verwundern. Unternehmen setzen so viel Geld in den Sand und bekommen unter Umständen auch noch ein Imageproblem. Wer mit Spezialisten arbeitet weiß, dass CSR-Kommunikation eine eigene Disziplin ist, die viel Fingerspitzengefühl erfordert, komplex und risikoreich ist.

Lesen Sie morgen den 2. Teil des Interviews mit Martina Hoffhaus, in dessen Schwerpunkt das so genannte ‚greenwashing’ steht.

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