Erneuerbare Energie, ECOreporter-Magazin

Interview mit Claudia Kemfert, DIW Berlin

Abwrackprämie für Kohlekraftwerke, unsinniger Netzausbau, Traumrenditen für Netzbetreiber, Geister-Debatten um angeblich teure Erneuerbare Energie.

"Nicht die Energiewende macht den Strom teurer, sondern die vermurkste Umsetzung" – Deutschlands bekannteste Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert fürchtet um den Erfolg der Energiewende und kritisiert das Festhalten an alten Strukturen. Im ECOreporter-Interview benennt sie klar, was die deutsche Energiewende bremst und warum dies geschieht. Sie macht aber Vorschläge, wie die Energiewende gelingen kann.

ECOreporter: Frau Kemfert, als Verbraucher zahlen wir in Deutschland heute etwa 29 Cent für eine Kilowattstunde Strom. Windkraftanlagen im Meer, in der Nordsee, liefern heute schon den Windstrom für etwa 5 Cent, und auch Windkraftanlagen an Land und Solaranlagen schaffen es für 7 bis 8 Cent. Da bleiben mehr als 20 Cent übrig für diejenigen, die das Stromnetz betreiben und uns die Stromrechnung schicken. Ist das nicht etwas übertrieben?

Professor Dr. Claudia Kemfert:  Durchaus – weil dem Stromkunden alles Mögliche beim Strompreis heimlich untergejubelt wird. Die Erneuerbaren Energien werden immer billiger, die Kosten von Wind- oder Solarstrom sinken kontinuierlich. Aber weil in Deutschland immer noch so viele alte Kohle- und Atomkraftwerke am Netz sind, wird hierzulande viel zu viel Strom produziert.

Dann müsste der Strompreis ja eigentlich fallen!

Ja, und das Überangebot lässt den Strompreis an der Strombörse auch stark sinken. Infolgedessen steigt aber die so genannte EEG-Umlage. Die basiert auf einem paradoxen Effekt: Wer eine Wind- oder Solaranlage betreibt, bekommt dafür – je nach Art und Größe der Anlage – eine Einspeisevergütung in fixer, garantierter Höhe.

Der Börsenstrompreis liegt in der Regel darunter, und die EEG-Umlage finanziert schlicht die Differenz zur Einspeisevergütung. Das Ergebnis: Je tiefer der Strompreis an der Börse sinkt, desto höher ist die EEG-Umlage. Also eigentlich ein kostenneutraler Weg zur Förderung der Erneuerbaren Energie. Für den Endverbraucher müsste das normalerweise zu stabilen Preisen führen.

Aber…

…aber die Politik hat den alten, ineffizienten Kohlekraftwerken eine Abwrackprämie zugestanden, und die wird jetzt auf den Strompreis aufgesattelt. Außerdem haben wir immer noch die Tatsache, dass energieintensive Unternehmen die EEG-Umlage nicht zahlen müssen. Sie profitieren also derzeit vom super-billigen Strompreis, weil die privaten Verbraucher ihren Anteil übernehmen müssen! Und letztlich gibt es noch den völlig überdimensionierten Netzausbau – paradoxerweise für den Überschuss an Strom, der erzeugt wird, weil die ineffizienten Kohlekraftwerke weiterarbeiten.

Alles das zahlen die Verbraucher. Die Energiewende ist nicht wegen der Erneuerbaren teuer, sondern weil wir viel zu lange an der alten Infrastruktur festhalten. So müssen die jungen Energien quasi die Rente für die ohnehin jahrzehntelang gepäppelten alten Energien bezahlen. Wir finanzieren die Vergangenheit, statt in die Zukunft zu investieren. Wer den Erfolg von Wind und Sonne für steigende Endverbraucherpreise verantwortlich macht, ist unehrlich oder betreibt ein gezieltes Täuschungsmanöver.

Trotzdem heißt es immer wieder, die Energiewende sei nahezu unbezahlbar.

Nicht die Energiewende macht den Strom teurer, sondern die vermurkste Umsetzung, das krampfhafte Festhalten an Altem und der politisch gewollte hohe Anteil an Kohlestrom.

Was raten Sie?

Es ist Zeit, sich endlich von alten Kohlekraftwerken zu verabschieden und den überdimensionierten Netzausbau samt Traumrenditen für Netzbetreiber abzuschaffen. Würde man keine Abwrackprämie für alte Kohlekraftwerke finanzieren, würde der Strompreis ganz schnell sinken.

Wir alle haben den Strompreis im Auge, dabei ist das Klima das wichtigere Problem. Bei der Weltklimakonferenz in Paris Ende 2015 hat sich die Bundesregierung dafür feiern lassen, dass das Ziel heißt: Die Temperatur auf unserem Globus soll nun möglichst nicht mehr als 1,5 Grad steigen. Die Wissenschaft ist sich einig, dass wir die Treibhausgasemissionen weltweit dafür in 30 Jahren auf null zurückfahren müssen. Ist Deutschland dabei auf dem richtigen Weg?

Mit dem Pariser Abkommen und der schnellen Ratifizierung ist ein wichtiger Startschuss für den weltweiten Klimaschutz gefallen. Am 4. November 2016 hatte die Mehrheit der 55 Staaten, die für mehr als 55 Prozent aller globalen Emissionen verantwortlich sind, das Abkommen ratifiziert. Damit trat das weltweit erste verbindliche Klimaabkommen in Kraft, „ein Grundgesetz für den internationalen Klimaschutz“, wie Bundesumweltministerin Barbara Hendricks es nannte.

Danach müssten bis 2050 die Emissionen um mindestens 80 bis 95 Prozent sinken. Was ist dafür notwendig?

Der Stromsektor wird in erster Linie auf Erneuerbaren Energien basieren müssen. Wir müssen die Mobilität auf Nachhaltigkeit umstellen. Und wir reden von einer vollständigen Dekarbonisierung der Wirtschaft.

Das erledigt sich nicht per Fingerschnipp.

Das ist ein Marathonlauf, von dem bislang nur die ersten Meter geschafft sind. Jetzt sollten wir also ganz schnell die Diskussionen beenden, stattdessen die Turnschuhe anziehen und entschlossen loslaufen, sonst wird der Endspurt furchtbar anstrengend.

Wenn wir uns so umschauen: Den vollen Ernst der Lage scheinen nur wenige realisiert zu haben.

Ja, und leider wird nun in Deutschland die Energiewende ausgebremst. Gespensterdebatten um angeblich zu hohe Kosten der Energiewende und vermeintlich fehlende Stromleitungen haben die Energiewende abgewürgt und Zehntausende Jobs gekostet. Die eingeführte EEG-Reform ist ungeeignet, um wichtige Ziele der Energiewende zu erreichen, wie das, bis 2050 die Energie zu mindestens 80 Prozent aus Erneuerbaren Energien zu erzeugen.

Dass man dieses Ziel zu möglichst geringen Kosten erreichen will, ist löblich. Aber die Maßnahmen passen nicht. Ausschreibungsverfahren, sogenannte Auktionen, für neue Erneuerbare-Energie-Kraftwerke sollen zwar Kosten senken und mehr Planungssicherheit geben. Aber Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass Ausschreibungen die Kosten erhöhen, die Akteursvielfalt mindern – so können Ausbauziele verfehlt werden.

Am 30. Juni haben wir die  Fortsetzung des Interviews mit Claudia Kemfert  veröffentlicht. Darin erläutert die Wirtschaftswissenschaftlerin Maßnahmen, mit denen die Energiewende gelingen kann.

Das vollständige Interview mit Claudia Kemfert ist im neuen ECOreporter-Magazin erschienen.

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