Antonis Schwarz ist Autor einer Studie zum Thema nachrichtenlose Vermögen. / Foto: SEND e.V.

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Herrenlose Bankkonten: 9 Milliarden Euro für eine bessere Welt

Schätzungen zufolge liegen in Deutschland bis zu 9 Milliarden Euro auf Bankkonten, deren Besitzer nicht mehr zu ermitteln sind. Die Initiative SEND hat eine Idee, wie man mit dem Geld Gutes tun kann, ohne Banken und Erben zu schaden.

Nachrichtenlose Konten – so heißen in der Finanzwelt Konten, deren Besitzer von den Banken nicht mehr kontaktiert werden können, meist weil sie verstorben sind und ihre letzte Adresse nicht bekannt ist. In vielen Ländern gibt es Regelungen, wie mit solchen Konten zu verfahren ist. In Deutschland bislang nicht.

Das will das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland (SEND) ändern. Der Verein aus Berlin setzt sich dafür ein, soziale Innovationen voranzutreiben – zum Beispiel einen neuen Social Impact Fonds. Dieser soll das brachliegende Vermögen nachrichtenloser Konten und auch Depots in soziale und ökologische Projekte investieren. Im ECOreporter-Interview erläutert Antonis Schwarz, Autor der SEND-Studie "Nachrichtenlose Assets Reformvorschlag“ (www.send-ev.de/uploads/sif.pdf), das Konzept des Social Impacts Fonds und warum dieser Fonds auch Erben nützen kann.

ECOreporter: Herr Schwarz, Sie schlagen vor, in Deutschland einen Social Impact Fonds einzuführen. Was steckt hinter dieser Idee?

Antonis Schwarz: Dahinter steckt der Wunsch, dem Sozialunternehmertum in Deutschland einen Wachstumsschub zu verleihen. Es fehlt bekanntermaßen an Investitionsmitteln in diesem Bereich. Der Staat ist in Deutschland noch zu wenig unterstützend aktiv und überlässt das Feld größtenteils den Stiftungen. Durch einen Fonds, der sich aus Mitteln nachrichtenloser Konten generiert, würde eine Finanzierungsform geschaffen, die in anderen Ländern wie beispielsweise Großbritannien bereits etabliert ist. Die Mittel aus einem solchen Fonds könnten dazu beitragen, die 17 Sustainable Development Goals (Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen – Anm. d. Red.) zu erreichen. Eine Möglichkeit wäre auch, die Gelder für soziale, kulturelle und gesellschaftliche Zwecke vor Ort zu nutzen, indem sie beispielsweise einer Sparkasse oder Genossenschaftsbank für Initiativen in ihrem jeweiligen Geschäftsgebiet zur Verfügung gestellt werden.

Was passiert derzeit mit nachrichtenlosen Bankkonten in Deutschland?

Aktuell ist es so, dass Finanzdienstleister nach Verlust des Kundenkontaktes versuchen, diesen mit angemessenen Maßnahmen wiederherzustellen – beispielsweise durch Anfragen beim Einwohnermeldeamt oder die Nutzung der Umzugsdatenbank der Deutschen Post. Nach 30 Jahren werden diese Maßnahmen letztmalig wiederholt, danach bucht der Finanzdienstleister die Kundenforderungen gewinnwirksam aus. Diese Praxis ist völlig rechtskonform, denn sie beruht auf der handels- und steuerbilanziellen Sichtweise, dass nach 30 Jahren die Inanspruchnahme durch einen nicht mehr erreichbaren Kunden unwahrscheinlich ist. Der Anspruch auf das Vermögen besteht zugunsten der Erben zivilrechtlich jedoch weiterhin fort. Letzteres ist uns wichtig zu betonen. Wir betreiben kein Banken-Bashing. Die Finanzdienstleister handeln rechtskonform. Das Problem ist das geltende Recht, das es zu ändern gilt.

Wie sollte ein deutscher Social Impact Fonds aufgebaut sein?

Das organisatorische Konstrukt sollte wie folgt aussehen:

• Ein Social Impact Fonds und ein zentrales (Melde-)Register werden eingerichtet.

• Nach Ablauf der definierten Frist, vorschlagshalber zehn Jahre, deklariert der Finanzdienstleister Vermögen, dessen Besitzer nicht mehr ermittelt werden kann, als nachrichtenlos und transferiert es zum Social Impact Fonds.

• Der Social Impact Fonds wird als Spezial-AIF aufgesetzt (AIF steht für Alternativer Investmentfonds – Anm. d. Red.). Die Anlagerichtlinien legt ein politischer Beirat fest. Das Portfolio-Management betreibt die KfW Capital (Investment-Tochter der staatlichen Förderbank KfW – Anm. d. Red.). Und die Verwaltung des Spezial-AIF wird durch eine Ausschreibung an eine Kapitalverwaltungsgesellschaft vergeben. Das Portfolio-Management wählt in Form eines Dachfonds geeignete Zielfonds aus.

• Das zentrale (Melde-)Register wird aufgrund der Kompetenz von der KfW geführt. Das Register sollte bundesweit greifen und Anspruchstellern die Möglichkeit bieten, nach den ihnen zustehenden nachrichtenlosen Vermögen zu suchen.

• Die Erträge und Mittel des Social Impact Fonds werden nach Entscheidung des Gesetzgebers und auf Basis der Anlagerichtlinien des politischen Beirats verwendet. Heißt: Der Beirat gibt die groben Leitplanken für das Investieren vor, also z.B. Anlagegrenzen, Ausschlusslisten oder Best-in-Class-Ansätze. Die konkreten täglichen Anlageentscheidungen trifft aber der Portfoliomanager, nach unserem Vorschlag also die KfW Capital.

Könnten Erben über das (Melde-)Register leichter verschollenes Vermögen finden?

Ja, deutlich leichter als bisher. Die sogenannten "etablierten Verfahren", auf die die Bankenverbände immer verweisen, sind eine Chimäre. Eine entsprechende Anfrage wird bislang weder zentral für alle deutschen Banken gesammelt und in einem einheitlichen Format weitergeleitet noch bei den Banken mit einem einheitlichen Datenbestand abgeglichen und automatisiert beantwortet. Das aktuelle Verfahren ist teilmanuell, fehleranfällig, dezentral, langwierig und insbesondere nicht kundenfreundlich.

Hätten ein deutscher Social Impact Fonds und ein zentrales (Melde-)Register auch Vorteile für die Banken?

Aus unserer Sicht ja. Vermögensverwalter wie Banken würden endlich einen sicheren Rechtsrahmen für den Umgang mit “nachrichtenlosen Assets” erhalten und könnten neben dem Verwaltungsaufwand das Reputationsrisiko verringern, das mit der bislang fehlenden Regulierung einhergeht. Die bei der Europäischen Zentralbank zu verzinsende Überschussliquidität würde abnehmen. Durch die Auslagerung an die KfW würden Kosten sinken, und manuelle, fehlerbehaftete Prozesse könnten reduziert werden. 

Was planen Sie, um Ihre Idee populärer zu machen?

Wir wollen weiter in Gesprächen mit politischen Entscheidungsträgern, aber auch in der Öffentlichkeit für das Vorhaben werben. Ein ganz zentrales Argument ist für uns, dass Deutschland in diesem Feld international zurückliegt. Dies sollte den Handlungsdruck weiter steigern. Denn alle G7-Staaten außer Deutschland haben eine gesetzliche Regelung für den Umgang mit nachrichtenlosen Vermögen. 46 Prozent aller OECD-Länder haben bereits eine Regelung für die Handhabung von nachrichtenlosen Vermögen eingeführt. Deutschland steht nicht nur im Vergleich zu den großen Industrienationen, sondern auch im Direktvergleich mit Nachbarstaaten wie Belgien, Luxemburg, Dänemark, Frankreich und den Niederlanden hintenan. Sogar ein Staat wie Jersey hat eine Lösung für nachrichtenlose Vermögen.

Herr Schwarz, wir danken Ihnen für das Gespräch!

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