Spekulieren für mehr Klimaschutz: Lohnt sich der Handel mit CO2-Zertifikaten – und wie viel Druck macht er auf Vattenfall, RWE und Co.? / Foto: imago images, Jörg Böthling

  Aktientipps, Erneuerbare Energie

CO2-Zertifikate: Emissionshandel als nachhaltige Geldanlage für mehr Klimaschutz?

Im März 2020 dümpelte der CO2-Preis bei rund 16 Euro pro Tonne dahin. Im Mai 2021 knackte er erstmals die Grenze von 50 Euro. Und an Europas wichtigster Energiebörse, der European Energy Exchange (EEX) in Leipzig, träumen Profi-Zocker schon von Preisen jenseits der 100 Euro. ECOreporter zeigt, ob CO2-Emissionsrechte sich auch für nachhaltige Anlegerinnen und Anleger lohnen können, wie der Handel damit funktioniert und ob solche Geldanlagen dem Klima nutzen.

Der Europäische Emissionshandel wurde 2005 eingeführt. Er soll das internationale Klimaschutzabkommen realisieren, das bereits 1997 auf der Weltklimakonferenz von Kyoto beschlossen worden war. Neben den 27 EU-Mitgliedstaaten und Großbritannien haben sich auch Norwegen, Island und Liechtenstein dem EU-Emissionshandel angeschlossen (EU 31). Seit 2020 ist das System außerdem mit dem Schweizer Emissionshandelssystem verlinkt.

Es geht um Folgendes: Lange Jahre durften Unternehmen einfach kostenlos die Atmosphäre mit allen erlaubten Gasen vollpumpen. Beispielsweise mit CO2 aus einem Kohlekraftwerk.

Seit 2005 sind für solche Emissionen in Europa nun Emissionsrechte notwendig. Diese Rechte müssen Unternehmen in Form von CO2-Zertifikaten vom Staat kaufen. Anfangs wurden sie kostenlos verteilt. 2020 nahm der Bund in Deutschland durch den Verkauf von Emissionsrechten knapp 2,7 Milliarden Euro ein, etwa eine halbe Milliarde weniger als im Vorjahr. Das Geld fließt in einen Klimafonds. Er soll die Energiewende mitfinanzieren.

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Was die Klimazertifikate bedeuten

Ein einzelnes CO2-Zertifikat enthält die Erlaubnis, innerhalb eines festgelegten Zeitraums eine Tonne Kohlendioxid (CO2) in die Erdatmosphäre zu blasen. Gegenüber dem Umweltbundesamt müssen Unternehmen nachweisen, welche CO2-Mengen sie freigesetzt haben – und sie müssen entsprechende Mengen an Zertifikaten vorweisen. Und wenn einem Unternehmen die vom Staat erworbenen Zertifikate nicht ausreichen? Dann kann es Zertifikate von anderen Unternehmen kaufen, die unter ihrem Schadstoff-Budget geblieben sind.

Dem Klima soll das in zweierlei Weise helfen: Erstens kommt Geld für weitere Klimaschutz-Projekte herein. Zweitens wird Klimaschutz zur ökonomisch sinnvollen Entscheidung: Wenn es günstiger ist, eine Tonne CO2 einzusparen, anstatt ein Zertifikat zu kaufen, rüstet das Unternehmen auf klimafreundlichere Technologie um. So zumindest der Hintergedanke.

Lange waren die EU-Staaten aber sehr großzügig mit der Vergabe der Zertifikate. Das führte zu einem Überangebot im Handel, der anfängliche Preis von 30 Euro pro Zertifikat sank zeitweise unter drei Euro. Unternehmen wie RWE oder BASF bekamen Verschmutzungsrechte in nahezu beliebiger Menge zum Schnäppchenpreis.

Warum steigt der CO2-Preis?

Doch das hat sich mittlerweile geändert. Die EU schränkt die Ausgabe neuer Zertifikate seit 2018 zusehends ein. Nicht genutzte ältere Zertifikate verfallen. Seit 2021 sollen nun jährlich 2,2 Prozent weniger Zertifikate zur Verfügung stehen. Mit der Verknappung des Angebots steigt auch, wie politisch gewollt, der Preis.

Nationaler Emissionshandel in Deutschland – ein Projekt von CDU/CSU und SPD

Zusätzlich zum Europäischen Emissionshandel gibt es in Deutschland seit Anfang 2021 ein nationales Emissionshandelssystem. Laut der Deutschen Emissionshandelsstelle (DEHSt) beim Umweltbundesamt gilt dies für alle auf den Markt gebrachten und CO2­-Emissionen verursachenden Brennstoffe. Das sind Benzin, Diesel, Heizöl, Flüssiggas, Erdgas und ab 2023 auch Kohle. Grundsätzlich werden je Tonne Kohlendioxid ab 2021 zunächst 25 Euro aufgeschlagen. Zahlen müssen das diejenigen, die diese Brennstoffe anbieten (zum Beispiel Tankstellen). Diese geben die Kosten aber an Kundinnen und Kunden weiter. Schrittweise soll der CO2-Preis je Tonne bis 2025 auf 55 Euro ansteigen.

An der EEX in Leipzig werden die CO2-Emissionsrechte dann gehandelt. Privatanlegerinnen und -anleger sind hier aber nicht zugelassen. Handeln können an der Börse Industriekonzerne, die CO2-Lizenzen verkaufen oder kaufen — aber nicht nur. Denn auch professionelle Investoren wie Hedgefonds oder Banken, die mit den Zertifikaten Geld verdienen wollen, sind hier aktiv.

Und die Profi-Spekulanten treiben die Preise. Sie horten die Zertifikate und verkaufen diese später den Konzernen, die sie benötigen.


Die Leipziger Strombörse EEX ist Europas wichtigster Handelsplatz für Emissionsrechte. / Foto: imago images, Ralph Peters

Mit einem Preis über 50 Euro ist nun ein wichtiger Meilenstein erreicht. Erst ab diesem Punkt lohnen sich laut Experten für die Unternehmen Investitionen in klimaschonende Technologien. Ab dieser Summe ist also der gewünschte Anreiz zur Senkung des CO2-Ausstoßes gegeben. Das Umweltbundesamt empfiehlt gar einen Preis von 180 Euro und mehr pro Tonne als Preis für die Umweltschäden der Emissionen.

Bei Investoren kommen solche Zahlen gut an. Hedgefonds-Manager Pierre Andurand, der auf den Klimaschutz wettet, rechnet mit einer Verdoppelung des CO2-Preises auf 100 Euro je Tonne in diesem Jahr. Die Analysten der Berenberg Bank prophezeien gar, dass die Zertifikate im Herbst und Winter 2021 110 Euro je Tonne kosten werden.

Wie können Privatanlegerinnen und Privatanleger CO2-Zertifikate handeln?

Während institutionelle Investoren wie Hedgefonds direkt in den CO2-Markt investieren und ein Konto an den Emissionsrechtebörsen einrichten können, müssen Privatanlegerinnen und -anleger einen Umweg nehmen. Sie können Zertifikate erwerben, die den Preis für Emissionsrechte über einen Index nachbilden. Solche Produkte bieten etwa die französische Bank Société Générale (DE000SB37KX8) oder die US-Investmentbank Morgan Stanley (DE000MC3SF55) an.

Diese Zertifikate haben aber einige Risiken und Nachteile: So besteht ein Emittenten-Risiko. Bei Zahlungsunfähigkeit der herausgebenden Bank erleidet man einen Totalverlust, da solche Zertifikate kein geschütztes Sondervermögen sind. Zudem sollten Anlegerinnen und Anleger zwar immer Indexzertifikate mit endloser Laufzeit, sogenannte Open-End-Zertifikate, kaufen. So kann der Zeitpunkt des Ausstiegs theoretisch selbst bestimmt werden. Doch die Zertifikate können vom Anbieter auch einseitig gekündigt werden, man bekommt das Geld dann entsprechend des letzten Kurses zurückgezahlt.

Vor allem aber: Die Zertifikate eignen sich im Grunde nur für das kurzfristige Zocken. Sie funktionieren nämlich, indem sie sogenannte Terminkontrakte, auch als Futures bekannt, hintereinander hängen. Die Terminkontrakte garantieren, stark vereinfacht, einen bestimmten Preis der Zertifikate zu einem bestimmten Datum in der Zukunft.

Um mit dieser Methode aber Endlos-Zertifikate zu schaffen, müssen die Anbieter die Terminkontrakte "rollen", das heißt immer wieder durch einen Kontrakt auf ein weiter in der Zukunft liegendes Datum ersetzen: Die Société Générale als Anbieterin des Zertifikats beispielsweise kauft also zunächst einen Terminkontrakt mit Ablauf Dezember 2021, verkauft diesen vor Ablauf und kauft stattdessen einen Kontrakt mit späterem Ablaufdatum.


Tagebau Garzweiler II und Braunkohlekraftwerk Neurath – der Einfluss der Energie-Lobby darf nicht unterschätzt werden. / Foto: imago images, Jochen Tack

Für diesen ständigen Handel entstehen zusätzliche Kosten, sogenannte Rollverluste. Diese Kosten sorgen dafür, dass Anlegerinnen und Anleger nicht eins zu eins am CO2-Börsenpreis partizipieren. Je häufiger man für ein Zertifikat Terminkontrakte tauschen muss, desto größer wird in der Regel der Abstand zwischen dem Kurs des Zertifikats und dem Börsenpreis.

Und es gibt noch ein weiteres Risiko: Lobbyismus. Je höher der CO2-Preis steigt, desto lauter klagen die Konzerne, die ihn bezahlen müssen. Und es ist gut möglich, dass die Politik zum Schutz etwa der Energieversorger oder Chemiekonzerne einschreitet, wenn der Preis zu hoch wird.

Bei einem Preis von knapp über 50 Euro ist das noch nicht wahrscheinlich. Deutschland strebt mit der nationalen CO2-Steuer für Brennstoffe bis zu 65 Euro je Tonne an. Ob allerdings auch Preise um die 100 Euro oder höher gewollt sind, ist zweifelhaft. Eine vermehrte Zuteilung von Gratis-Zertifikaten über den Bedarf hinaus könnte die Preise dann wieder zuverlässig senken.

Fazit: Nachhaltige Anlegerinnen und Anleger sollten die CO2-Zertifikate den Profi-Zockern überlassen. Zugang zum Markt erhalten sie nur mit hochspekulativen Finanzprodukten, die auch noch einseitig vom Anbieter gekündigt werden können, wenn sie sich aus dessen Sicht zu gut entwickeln. Dazu kommt ein nahezu unkalkulierbares politisches Risiko. Und nachhaltige Wirkung erzielen die Zertifikate auf die CO2-Zertifikate auch nicht: Man nimmt am Handel teil. Zusätzliches Geld für den Klimaschutz ergibt das nicht – das Geld landet bei den Verkäufern der CO2-Zertifikate, nicht in Maßnahmen zur Rettung des Planeten.

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Klimazertifikate: Ablasshandel und Börsendeals


Aufforstung um CO2 zu sparen – ist das sinnvoll? / Foto: imago images, Imaginechina-Tuchong

Außer CO2-Zertifikaten können Unternehmen auch andere Klimazertifikate erwerben, bei denen es darum geht, Emissionen zu kompensieren. Das heißt: Ein Unternehmen hilft mit, die Treibhausgase, die es erzeugt, an einem anderen Ort der Welt einzusparen – etwa indem in Indien ein Windpark statt eines Kohlekraftwerks gebaut wird. Durch den Kauf von Klimazertifikaten finanziert das Unternehmen den Bau dieses Windparks mit und bekommt dafür selbst eine bestimmte Menge CO2 "gutgeschrieben".

Der Handel mit Klimazertifikaten findet auf zwei verschiedenen Ebenen statt. Da ist erstens die staatliche Ebene, die als „regulierter Markt“ bezeichnet wird. Klimaschutzprojekte, die auf dieser Ebene Zertifikate verkaufen möchten, müssen behördlich anerkannt und nach Vorgaben der Vereinten Nationen zertifiziert werden.

Die zweite Ebene ist der sogenannte „freiwillige Markt“. Die hier erzielten Emissionsreduktionen können nicht im Rahmen des offiziellen Emissionshandels verkauft oder erworben werden. Hier gelten daher auch nicht die Qualitätsstandards der Vereinten Nationen. Im Grunde kann jeder ein Klimaschutzprojekt ins Leben rufen und den Geldgebern eine Bescheinigung oder ein Zertifikat ausstellen. Unternehmen können diese Zertifikate aber höchstens als Beweis guter Absichten nutzen – auf ihr Schadstoff-Budget haben sie keine Auswirkungen. 

Auf dem freiwilligen Markt gibt es derzeit keinen einheitlichen Qualitätsstandard. Einige gelten aber als relativ verlässlich, da sie sich größtenteils an den Kriterien des Kyoto-Protokolls orientieren:

  • Gold Standard
  • VER Standard
  • CarbonFix Standard
  • CCB Standard
  • Verified Carbon Standard
  • California Climate Action Registry
  • MoorFutures

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