Die Universität Witten-Herdecke bietet in erster Linie medizinische Studiengänge an. / Foto: Universität

  Anleihen / AIF

ECOreporter-Analyse: Anleihe 2022 der StudierendenGesellschaft Witten/Herdecke e.V.

Die StudierendenGesellschaft Witten/Herdecke e.V. hat eine Anleihe herausgebracht. Deren Kapital soll die von Studierenden der privaten Universität Witten/Herdecke zu entrichtenden Studienbeiträge vorfinanzieren. Die Anleihe hat einen Zinssatz von 4,25 Prozent pro Jahr bei einer Laufzeit von zehn Jahren. Ab 1.000 Euro können Anlegerinnen und Anleger die Anleihe zeichnen. Wie sind die StudierendenGesellschaft und die Universität aufgestellt? Welche wichtige Rolle spielt die GLS Bank bei der StudierendenGesellschaft?

Anbieterin und Emittentin der Anleihe ist die StudierendenGesellschaft Witten/Herdecke e.V. aus Witten in Nordrhein-Westfalen. Das Emissionsvolumen der Anleihe – offizielle Bezeichnung: „4,25 % Schuldverschreibungen 2022/2032“  – beträgt 12 Millionen Euro. Die Emittentin kann die Anleihe vorzeitig kündigen, erstmals zum 7. Oktober 2029. Bei einer vorzeitigen Kündigung beträgt der vertraglich vereinbarte Rückzahlungsbetrag nicht 100 Prozent, sondern – abhängig vom Rückzahlungszeitpunkt – 101 bis 102 Prozent des Nennwertes. Die Anleihe soll innerhalb eines Jahres nach Prospektdatum (6.10.2022) in den Freiverkehr an der Börse Düsseldorf einbezogen werden.

Die StudierendenGesellschaft bietet die Anleihe öffentlich über die GLS Bank und über die Internet-Plattform GLS Crowd zur Zeichnung an. Die GLS Bank erhält laut Produktinformationsblatt von der Emittentin eine Vertriebsvergütung von 3,0 Prozent des von ihr platzierten Emissionsvolumens. Über diese Platzierungsprovision hinaus hat die GLS Bank ein starkes eigenes Interesse an der Anleiheplatzierung.

Umgekehrter Generationenvertrag

Der geplante Nettoemissionserlös der Anleihe von rund 11,5 Millionen Euro (bei Vollplatzierung) soll laut Wertpapier-Prospekt die sogenannten „Späterzahlenden“ der Universität Witten/Herdecke finanzieren. Späterzahlende Studierende zahlen während des Studiums keine Studienbeiträge. Sie schließen stattdessen mit der Emittentin eine Förderungsvereinbarung und verpflichten sich im Rahmen des sogenannten „Umgekehrten Generationenvertrags“, einen prozentualen Teil des späteren Einkommens an die StudierendenGesellschaft zu zahlen.

Ziel des Umgekehrten Generationenvertrags ist es laut Prospekt, eine höhere Bildungsgerechtigkeit, größere Chancengleichheit und Freiheit an der Universität Witten/Herdecke zu erreichen, indem eine elternunabhängige und sozialverträgliche Finanzierung des Studiums ermöglicht wird.

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Profil StudierendenGesellschaft Witten/Herdecke e.V.

Die StudierendenGesellschaft Witten/Herdecke e.V. wurde 1995 gegründet und verfolgt als eingetragener Verein (e.V.) keine Renditeziele, sondern ist gemeinnützig organisiert. Die Emittentin der Anleihe hat keinen Hauptanteilseigner. Jedes stimmberechtigte Mitglied des Vereins (Stand zum 31.12.2021: 1.692 stimmberechtigte Mitglieder) hat in der Mitgliederversammlung eine Stimme. Die Mitglieder sind laut Prospekt im Wesentlichen Studierende bzw. ehemalige Studierende der Universität Witten/Herdecke.

Die StudierendenGesellschaft Witten/Herdecke ist eine von sieben Gesellschafterinnen der Privaten Universität Witten/Herdecke gGmbH mit Sitz in Witten und verwirklicht ihren Zweck insbesondere durch die Förderung des Studiums an der Universität. Die Emittentin hält laut Prospekt derzeit 7,63 Prozent der Geschäftsanteile an der Universität Witten/Herdecke.


Hauptgebäude der Universität Witten-Herdecke. / Foto: Universität

Dem Umgekehrten Generationenvertrag liegt laut Prospekt das Prinzip zugrunde, dass finanzierungsnehmende Studierende, anders als bei einem gewöhnlichen Studiendarlehen, kein feststehendes Darlehen tilgen. Vielmehr zahlen sie nach Abschluss des Studiums mit Überschreiten eines Mindestgehalts einen vertraglich bestimmten Prozentsatz ihres Einkommens über die vertraglich fixierte Rückzahlungsdauer an die Emittentin. Für die Summe der Rückzahlungen gibt es eine Höchstgrenze. Wird das vertraglich definierte Mindestgehalt im vorbestimmten Rückzahlungszeitraum nicht überschritten, entfällt die Rückzahlungspflicht. Die StudierendenGesellschaft setzt laut Prospekt gemeinsam mit der Universität Witten/Herdecke die Finanzierungsbeiträge für jeden Studiengang fest und übernimmt die Einziehung der Beiträge.

Im Späterzahlungsmodell differieren je nach Studiengang und Regelstudienzeit die Zahlungen, die die Emittentin je Späterzahlendem an die Universität abführt (75 Prozent der Sofortzahlungsbeiträge). Die Bandbreite liegt laut Prospekt im Wintersemester 2022/23 zwischen 20.208 Euro für den viersemestrigen Masterstudiengang Philosophy, Politics & Economics und 99.300 Euro für das zehnsemestrige Vollstudium der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Durch das Abführen der Finanzierungsbeiträge trug die Emittentin im Geschäftsjahr 2021 laut Prospekt 13,6 Millionen Euro zum Haushalt der Universität Witten/Herdecke und damit rund 23 Prozent zu deren Einnahmen bei.

Profil Universität Witten/Herdecke

Die Universität Witten/Herdecke finanziert sich als private Universität neben den Studierendenbeiträgen, deren Zahlung über die Emittentin abgewickelt wird (rund 23 Prozent der Gesamterträge), aus weiteren Quellen. Im Geschäftsjahr 2021 war die Mittelherkunft laut Prospekt wie folgt:

  • Zuwendungen des Landes Nordrhein-Westfalen sowie öffentliche Fördermittel, die für Forschungsprojekte insbesondere von Instituten, Zentren oder Lehrstühlen eingeworben werden (rund 38 Prozent)
  • Spenden (rund 14 Prozent)
  • Einnahmen der Zahnklinik (rund 11 Prozent)
  • sonstige Einnahmen (rund 14 Prozent)

Die Universität Witten/Herdecke hat laut Prospekt 787 Mitarbeitende, davon 77 Hochschullehrende und 232 wissenschaftliche Mitarbeitende. Die 3.152 Studierenden im Sommersemester 2022 verteilten sich laut Prospekt auf die Fakultäten Wirtschaft und Gesellschaft (635) und Gesundheit (2.517). Letztere untergliederte sich in die Bereiche Humanmedizin (1.399), Pflegewissenschaft (168), Psychologie (532), Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (418) und Ethik & Organisation (59).

Die Zahl der Studierenden an der Universität Witten/Herdecke hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen und betrug laut Prospekt zum Jahresende 2021 3.070 (2010: 1.099; 2014: 1.734), davon 2.257 Vollzeitstudierende. Die Universität plant in den nächsten Jahren mit weiter steigenden Studierendenzahlen. Dadurch ergibt sich für die Emittentin nach eigenen Angaben eine entsprechend wachsende Zahl von Späterzahlenden mit einem kurzfristig höheren Refinanzierungsvolumen und einer langfristig steigenden Ertragslage.


Über die neue Anleihe sollen Studienbeiträge vorfinanziert werden. / Foto: Universität

Investition

Die StudierendenGesellschaft beabsichtigt laut Prospekt, ihre 2014 begebene Anleihe, die 2024 zur Rückzahlung fällig ist, vorzeitig zu kündigen, um dem Risiko künftig steigender Marktzinsen zu begegnen. Die Emittentin plant laut Prospekt bei einer Vollplatzierung (12 Millionen Euro) der neuen Anleihe 2022, einen Teilbetrag von bis zu 7,65 Millionen Euro für die vorzeitige Rückzahlung der Anleihe 2014 zu verwenden.

Angesichts der Ausleihungen an Studierende von rund 32,5 Millionen Euro, die laut Prospekt über 90 Prozent der Bilanzsumme der Emittentin zum 31. Dezember 2021 entsprechen, dient diese Umschuldung ganz überwiegend der langfristigen Refinanzierung des Umgekehrten Generationenvertrags. Die Emittentin plant, mit den bei einer Vollplatzierung der Anleihe 2022 verbleibenden rund 4 Millionen Euro weitere Späterzahlende zu finanzieren.

Risiko

Der StudierendenGesellschaft ist es laut Prospekt nicht möglich, das Risikoprofil der finanzierungsnehmenden Studierenden zu bestimmen. Eine Auswahl nach finanziellen Kriterien, wie etwa dem finanziellen Hintergrund der Studierenden, erfolgt gerade nicht. Sollten die Rückzahlungen der Späterzahlenden niedriger ausfallen als geplant, wird sich die Ertragslage verschlechtern.

Im Zusammenhang mit der Durchführung des Umgekehrten Generationenvertrags und der Inflation besteht laut Prospekt aktuell ein erhöhtes Risiko, dass die Gehälter weniger stark steigen als die Verbraucherpreise, in der Folge mehr Späterzahlende Gehälter unterhalb der an den Verbraucherpreisindex angebundenen Mindestgrenze erzielen und von der Rückzahlung befreit werden.

Die GLS Bank erhält als Vertriebspartnerin der Anleiheemission eine Platzierungsprovision. Sie hat darüber hinaus als Kreditgeberin der StudierendenGesellschaft ein Interesse an der Emission, da diese positive Auswirkungen auf die Vermögens- und Finanzlage der Emittentin hat. Die GLS Bank hat laut Prospekt der Emittentin zur Abdeckung des bestehenden Finanzierungsbedarfs zwei in den Jahren 2027 bzw. 2030 endfällige Darlehen in Höhe von insgesamt 9,65 Millionen Euro sowie weitere Kreditrahmen in Höhe von 4 Millionen Euro gewährt. Die Anleihe 2022 ist 2032 zur Rückzahlung fällig. Es besteht das Risiko, dass die Rückzahlung der vorher endfälligen Darlehen der GLS Bank die Möglichkeiten der Emittentin verringert, die Anleihe 2032 vollständig zurückzuzahlen.

Das im Dezember 2030 endfällige Darlehen von 4,65 Millionen Euro, das die GLS Bank gewährt hat, ist laut Prospekt durch eine Globalzession der bestehenden und künftigen Forderungen aus den mit den Studierenden geschlossenen Verträgen zur Finanzierung der Studienbeiträge besichert. Diese abgetretenen Forderungen stellen laut Prospekt einen wesentlichen Bestandteil des Vermögens und eine wesentliche Einnahmequelle der Emittentin dar. Sollte es zu einer teilweisen oder vollständigen Verwertung der Sicherheiten durch die GLS Bank kommen, würden laut Prospekt voraussichtlich keine oder nur wenige Mittel zur Befriedigung der Forderungen der Anleihegläubiger zur Verfügung stehen.

Es ist laut Prospekt nicht ausgeschlossen, dass die Universität Witten/Herdecke künftig in eine wirtschaftliche Notlage gerät. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn staatliche Förderungen oder private Sponsoren wegfallen, sich die Studierendenzahlen nicht wie geplant entwickeln oder die Kosten für die Aufrechterhaltung des Studienbetriebs unplanmäßig steigen. Insbesondere sind laut Prospekt die Zuwendungen des Landes NRW an strenge, jährlich neu zu überprüfende Voraussetzungen geknüpft. Bei einer wirtschaftlichen Notlage könnte es laut Prospekt für den Fortbestand der Universität Witten/Herdecke notwendig werden, dass die Emittentin ihr weitere finanzielle Mittel durch Fremd- oder Eigenkapital zuführt.

Stärken

  • Renommierte Universität Witten/Herdecke
  • Bildungsinvestitionen mit hohem volkswirtschaftlichen Nutzen
  • Emittentin mit langjährigen Erfahrungswerten

Schwächen

  • Emittentin von der Universität Witten/Herdecke abhängig
  • Universität insbesondere von Zuwendungen und Fördermitteln wirtschaftlich abhängig
  • Inflationsrisiken

Fazit

Die Investitionen in den Bildungssektor sind gesellschaftlich und volkswirtschaftlich nachhaltig. Angesichts des bereits deutlich gestiegenen Zinsniveaus, auch für sichere Geldanlagen wie beispielsweise Festgeld, kann der Anleihezins allerdings als vergleichsweise gering gelten.

Basisdaten

Anbieterin und Emittentin: StudierendenGesellschaft Witten/Herdecke e.V., Witten
Anlageform: Anleihe (Inhaber-Teilschuldverschreibungen)
Emissionsvolumen: 12 Millionen Euro
Mindestzeichnungssumme: 1.000 Euro
Agio: 0 Prozent
Laufzeit: 10 Jahre
Zinsen: 4,25 Prozent pro Jahr
Einkunftsart: Einkünfte aus Kapitalvermögen
BaFin-Billigung: Ja
Handelbarkeit: Börse Düsseldorf geplant
ISIN: DE000A30VTD2

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