Dr. Sandra Reich ist unter anderem Dozentin für Sustainable Finance. / Foto: Sandra Reich

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Interview zu MiFID II: Wie viel Nachhaltigkeit darf es sein, lieber Kunde?

Für Finanzberaterinnen und -berater wird sich nächstes Jahr einiges ändern, auch im Kontakt mit Kundinnen und Kunden. Worum es dabei konkret geht, erklärt Dr. Sandra Reich, Expertin für nachhaltiges Finanzwesen.

Reich ist gelernte Bankkauffrau, studierte Wirtschaftsrechtlerin und promovierte Juristin. Seit 2018 arbeitet sie als Unternehmensberaterin in München. Davor war sie unter anderem lange Jahre Geschäftsführerin der Börsen Hamburg und Hannover. Aktuell ist sie auch Aufsichtsrätin und Beirätin sowie Dozentin für „Sustainable Finance“ an der Munich Business School.

ECOreporter: Frau Reich, Stichwort "MiFID II": Da stehen uns Änderungen ins Haus. Beraterinnen und Berater sollen Kunden nach der Nachhaltigkeitspräferenz fragen. Was genau müssen sie dann erfragen? Und wie: vor der Beratung, danach...?

Sandra Reich: Ende April hat die Europäische Kommission den Entwurf einer sogenannten Delegierten Verordnung veröffentlicht. Mit dieser soll eine ältere Delegierte Verordnung der MiFID II geändert werden. Im Zuge des aktuellen Vorschlags ist vorgesehen, dass in der Anlageberatung und in der Portfolioverwaltung zukünftig die Bewertung der Nachhaltigkeitspräferenzen von Kunden oder potenziellen Kunden obligatorisch wird. Die bisherige Eignungsbeurteilung soll um den Aspekt der Nachhaltigkeit erweitert werden.

Finanzinstrumente, die dann empfohlen werden, müssen die individuellen Nachhaltigkeitspräferenzen berücksichtigen. Klingt ziemlich kompliziert, wenn man bedenkt, wie weit das Feld der Nachhaltigkeit in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance ist. Deshalb ist laut Entwurf beabsichtigt, dass sich die Wertpapierfirmen für die Einordnung der Nachhaltigkeitspräferenzen an drei Kategorien ausrichten müssen. Diese drei Kategorien sind

  1. Finanzinstrumente, die einen Mindestanteil an Wirtschaftstätigkeiten im Sinne der Taxonomie-Verordnung beinhalten,
  2. Finanzinstrumente, die einen Mindestanteil an nachhaltigen Investitionen im Sinne der Offenlegungs-Verordnung beinhalten und
  3. Finanzinstrumente, bei denen die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren im Sinne des Kundenwunsches berücksichtigt werden.

Sagen Sie doch bitte für Nicht-Experten noch einmal: Was ist eigentlich MiFID, was ist MiFID II, und für wen gilt das alles – für Selbstständige, für Makler, für Angestellte?

Mit MiFID wird die europäische Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente, im Englischen „Markets in Financial Instruments Directive“, aus dem Jahr 2004 abgekürzt. 2014 wurde die MiFID aufgrund einer Vielzahl von Änderungen neu gefasst. MiFID II entstand. Etwa drei Jahre später wurde die Richtlinie in Bezug auf organisatorische Anforderungen an Wertpapierfirmen präzisiert.

Von den nun geplanten Änderungen zu MiFID II sind grundsätzlich all diejenigen betroffen, die auch schon die Anforderungen der MiFID bzw. MiFID II anzuwenden hatten. Dazu zählen unter anderem Wertpapierfirmen, Marktbetreiber oder Datenbereitstellungsdienste. Als Wertpapierfirma wird grundsätzlich eine juristische Person bezeichnet, die im Rahmen ihrer üblichen Tätigkeit gewerbsmäßig Wertpapierdienstleistungen für Dritte erbringt oder Anlagetätigkeiten ausübt. Angestellte betrifft es dann, wenn sie für eine Wertpapierfirma tätig sind und Kundenberatungen durchführen.

Und ab wann soll das gelten?

Dem aktuellen Entwurf der Delegierten Verordnung ist zu entnehmen, dass die neuen Anforderungen zwölf Monate nach der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union erstmals angewendet werden sollen. Es kommt jetzt also auf den Tag der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt an. Die Europäische Kommission erwartet, dass die Anforderungen wohl ab Herbst 2022 umzusetzen sind.

Nun gibt es auch die Taxonomie-Verordnung und die Offenlegungs-Verordnung. Was ist das – und wie spielt es mit MiFID II zusammen?

Mit diesen beiden Verordnungen sprechen Sie direkt zwei regulatorische Neuerungen mit Nachhaltigkeitsbezug der vergangenen Monate an. Die Offenlegungs-Verordnung stellt neue Transparenzanforderungen an Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater. Diese müssen offenlegen, wie beispielsweise Nachhaltigkeitsrisiken in ihre Investitionsprozesse einbezogen werden. Es geht aber auch um Transparenz bei der Berücksichtigung von nachteiligen Nachhaltigkeitsauswirkungen in Prozessen und bei Finanzprodukten.

Die Taxonomie-Verordnung dagegen legt Kriterien fest, ob eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig gelten kann. Dazu gehört unter anderem, einen aktiven Beitrag zu mindestens einem von sechs definierten Umweltzielen zu leisten. Mit diesen Kriterien wird beabsichtigt, den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit einer Investition zu bestimmen.

Die geplante Änderung der MiFID II, die Anforderungen der Taxonomie-Verordnung und der Offenlegungs-Verordnung greifen in bestimmten wesentlichen Bereichen ineinander. So verweist die Taxonomie-Verordnung in einigen Paragrafen auf die Offenlegungs-Verordnung, die Offenlegungs-Verordnung geht beim Begriff „nachhaltige Investitionen“ auf die Umweltziele der Taxonomie-Verordnung ein, und die Änderungen der MiFID II beziehen über die drei Kategorien zur Nachhaltigkeitspräferenz wiederum die Taxonomie- und die Offenlegungs-Verordnung ein.

Frau Reich, vielen Dank für Ihre Antworten!

ECOreporter bietet seit 2005 den zertifizierten Fernlehrgang ECOanlageberater an. Dieser versetzt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die Lage, den Markt der nachhaltigen Geldanlage zu überblicken, entsprechende Finanzprodukte sachgerecht zu bewerten und Interessenten qualifiziert zu beraten. MiFID II ist natürlich auch Bestandteil des Lehrgangs.

Mehr zum ECOanlageberater finden Sie auf Website des Lehrgangs.

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