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Nachhaltige Aktien, Erneuerbare Energie, Institutionelle / Anlageprofis
ECOreporter-Interview: Wie der Wandel zur ökologischen Marktwirtschaft gelingt
Die Kosten für die Entstehung einer klimakompatiblen Volkswirtschaft werden auf 5 Billionen Euro geschätzt. Thorsten Müller, Leiter des deutschen Kapitalmarktexperten-Verbands DVFA, sieht die Wirtschaft dieser Herausforderung gewachsen – auch wegen großer Wachstumschancen.
Trotz großer Herausforderungen und hoher Kosten ist sich Müller im Interview mit ECOreporter sicher, dass die Transformation zu einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft gelingen kann – auch weil der Menschheit schlicht keine andere Wahl bleibt.
Der Wandel wird dem Experten zufolge zwar nicht von heute auf morgen gelingen. Der Weg in der Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit ist nach Müllers Überzeugung aber vorgezeichnet. Dafür würden allein schon regulatorische Vorgaben sorgen – auch wenn der Experte sich in einigen Punkten mehr Flexibilität etwa durch die Europäische Union wünscht.
Bei der Suche nach Lösungen darf es laut Müller dabei keine Denkverbote geben, etwa bei der Rente. Und: Der Kapitalmarkt soll sich besser um mittlere und kleine Unternehmen und deren finanzielle Bedürfnisse kümmern.
ECOreporter: Herr Müller, im Rahmen des Kapitalmarktforums der DVFA wurde von einigen Referenten hervorgehoben, dass wir uns volkswirtschaftlich möglichen Kipppunkten annähern. Also kritischen Schwellenwerten, bei deren Überschreiten es zu starken und nicht umkehrbaren Veränderungen kommt. Welche Punkte sind das?
Thorsten Müller: Auf uns kommen verschiedene ökonomisch bedeutende Herausforderungen zu. Die wichtigsten sind die Demografie, der wachsende Kostenblock, den ein sehr ausgeprägter Sozialstaat mit sich bringt, die Digitalisierung und schließlich die notwendige Transformation zu einer Net-Zero-Volkswirtschaft…
…also einer Volkswirtschaft, in der Treibhausgasemissionen auf ein Minimum reduziert sind und der Rest an klimaschädlichen Gasen durch verschiedene Verfahren aus der Atmosphäre entnommen wird. Letztlich unter anderem eine weitgehende Abkehr von fossilen Energieträgern wie Öl, Kohle und Gas.
Ja, und da müssen wir uns die Frage stellen, wie wollen wir das finanzieren? Wir können nicht einfach nur die Steuer- und Abgabequoten erhöhen, wir müssen uns in Deutschland mit neuen Lösungen auseinandersetzen.
Was schlagen Sie vor?
DVFA und Thorsten Müller
Der DVFA ist der Verband der Investment-Professionals in Deutschland, die Abkürzung steht für „Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management e. V.“. Der Verein bündelt die Meinung seiner Mitglieder und bringt sie über seine Gremien in die regulatorische und politische Diskussion ein. „Wir haben über 1.400 Mitglieder, und was wichtig ist, dies sind Personen, keine Unternehmen. Wir können deshalb auch mal Meinungen äußern, die vom Mainstream abweichen, weil wir unabhängig sind“, sagt der Vorstandsvorsitzende Thorsten Müller.
Der Claim des DVFA ist „Verantwortung im Kapitalmarkt“, dementsprechend positioniert sich der Verband auch bei ESG-Themen (Environment, Social, Governance). Alle Vorstände im Verband arbeiten laut Müller ehrenamtlich. „Das heißt, alle Vorstände agieren in ihrem Job direkt am Markt und bilden sich dort ihre Meinung.“ Den DVFA gibt es seit über 60 Jahren, der Bank- und Diplom-Kaufmann Thorsten Müller leitet ihn seit Mitte 2022. Müller ist Geschäftsführer der Lighthouse Corporate Finance GmbH aus Frankfurt.
Bei der Demografie und den Sozialstaatskosten liegen die Lösungen auf dem Tisch. Beispielsweise eine teilweise kapitalgedeckte Rente. Wir benötigen eine stärkere Aktienkultur, mehr Finanzbildung – das ist das Feld, das bisher relativ brach liegt. Beim Thema Rente haben sich die Regierungsparteien bisher immer gegen den Kapitalmarkt ausgesprochen. Wir müssen uns jedoch mit diesem Thema sachlich und offen auseinanderzusetzen. Wir sollten uns beispielsweise fragen, warum wir es in Deutschland nicht schaffen, ganz emotionslos über eine kapitalgedeckte Rente zu debattieren. Wir belasten stattdessen dieses Thema dogmatisch. Dabei geht es ja gar nicht um eine Vollbremsung für das bisherige umlagefinanzierte Rentensystem, sondern darum, eine weitere Säule aufzubauen, die in einem ersten Schritt zukünftig vielleicht 10 oder 20 Prozent Anteil an den Rentenzahlungen ergibt. Viele Länder haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht, das ist statistisch belegbar. Damit wir die Kipppunkte nicht erreichen, brauchen wir hier Konzepte, um Brücken zu bauen. Der Kapitalmarkt kann eine solche Brücke sein. Und da wollen wir uns als Finanzexperten mit Lösungsansätzen einbringen.
Und dann geht es darum, die Transformation zu einer, wie Ihr Verband es geschrieben hat, ökologisch sozialen Marktwirtschaft zu finanzieren. Ist die Notwendigkeit dazu unter Finanzfachleuten überhaupt anerkannt?
Wir haben ja eine soziale Marktwirtschaft, und die ökologische Komponente brauchen wir auch, das ist innerhalb der Branche unbestritten. Aber der Kapitalbedarf für die Transformation zu einer klimakompatiblen Volkswirtschaft wird auf 5 Billionen Euro beziffert…
"Ökologisch vernünftige Investments werden künftig mehr und mehr im Vordergrund stehen", meint Thorsten Müller. / Foto: Pixabay
…das sind 5.000 Milliarden Euro, also beispielsweise 25 Mal so viel wie der „Doppelwumms“ von Olaf Scholz, 25 mal 200 Milliarden Euro…
Die Zahl 5 Billionen wurde von der KfW für den Zeitraum bis 2050 geschätzt.
Nun ist der Klimaschutz von den Gesetzgebern in Europa ja als Thema aufgegriffen.
Ja, die Regulatorik, also die Gesetzgeber, geben den Weg vor. Heute schon werden Investoren, sowohl private als auch institutionelle, gefragt: Möchtest du nachhaltig investieren? Ökologisch vernünftige Investments werden künftig mehr und mehr im Vordergrund stehen. Das können natürlich sogenannte Impact Investments sein, zum Beispiel Windräder oder Photovoltaik. Aber es geht eben auch um die braunen Industrien. Wir werden zum Beispiel nicht von heute auf morgen auf die Zementproduktion verzichten können. Aber die entsprechenden Unternehmen sollten natürlich ihren CO2-Fußabdruck nachhaltig reduzieren. Diesen Prozess werden die Investoren und Banken durch ihr Investitions- und Finanzierungsverhalten maßgeblich begleiten; die von Brüssel initiierten Vorgaben geben hier klare Orientierung.
Und die Finanzierung der Transformation zu mehr Nachhaltigkeit, die stemmen die Finanzmärkte?
Ja, aber dabei müssen wir uns in Deutschland unseren Kapitalmarkt anschauen und uns fragen: Läuft das eigentlich alles so, wie es sollte, oder haben wir hier auch Defizite? Nehmen wir den Kapitalmarkt für die ganz großen Unternehmen, die Blue Chips: Da funktionieren die Märkte sehr gut. Wenn wir uns jedoch Unternehmen ansehen, die von der Marktkapitalisierung her unterhalb des SDAX liegen, dann sieht es ganz anders aus, wenn es um Kapitalmarktfinanzierungen geht. Da wird es häufiger schwierig. Gerade für kleinere gelistete Unternehmen müssen wir die Finanzierungsfunktion des Kapitalmarktes stärken. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund der anstehenden Investitionen in die Transformation.
Unsere Regulierungen führen eher dazu, dass sich gerade die großen Investoren aus den Kapitalmarktfinanzierungen für kleinere gelistete Unternehmen zurückziehen. Bei Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung unter einer Milliarde Euro fehlen häufig schon die großen Investoren, was Eigenkapitalfinanzierungen nicht gerade erleichtert. Und je kleiner die Unternehmen werden, desto schwieriger wird die Kapitalmarktfinanzierung in Deutschland.
Wer ist denn da am ehesten gefragt?
Wir haben in Deutschland traditionell eine starke Bankenfinanzierung. Banken sind auf die Fremdkapitalfinanzierung spezialisiert, sind stark reguliert und entsprechend risikoscheu. Was nachvollziehbar ist und richtig. Wachstums- und Transformationsinvestitionen sollten jedoch verstärkt durch Eigenkapital finanziert werden. Entsprechend sollten wir die Eigenkapitalmärkte stärken. Das gilt insbesondere für die Finanzierung über den Kapitalmarkt. Uns fehlt hier die Breite und Tiefe der Börsen. Richtig gut funktioniert das nur für im DAX und MDAX notierte Unternehmen, da hier alle großen Investoren im Markt sind.
Wo ist es besonders schwierig?
Wir tun uns schwer mit dem Einstieg, wie dem Wachstumssegment Scale. Hier haben wir in den letzten Jahren sehr wenige Börsengänge gesehen. Das machen andere Länder besser, etwa Italien oder Schweden. Es fehlt einfach in Deutschland an Investoren für kleine gelistete Unternehmen. Das ist volkswirtschaftlich kritisch zu sehen, da diese Unternehmen innovativ sind und neue Jobs schaffen.
Porsche ist letztes Jahr an die Börse gegangen.
Ja, wieder eine Großtransaktion. Rund 10 Milliarden Euro Emissionsvolumen. Bei Transaktionen jenseits der Milliardengrenze, da sind wir sehr gut in Deutschland aufgestellt. Aber unterhalb der Großen ist es in Deutschland nicht leicht. Da werden die Märkte häufig sehr, sehr klebrig, da ist weniger Geld im Umlauf. Das ist natürlich ein großes Hemmnis, wenn wir über volkswirtschaftliches Wachstum sprechen, über Innovation, Arbeitsplätze und Net Zero.
Dabei dürften die zahlreichen Mittelständler, die jetzt eine Nachfolge regeln wollen, auf den Finanzmarkt angewiesen sein.
Bei Nachfolgeregelungen können sich deutsche Unternehmen auf sehr gut aufgestellte internationale Private Equity-Fonds verlassen. Diese werden häufig von institutionellen Investoren oder großen Family Offices finanziert. Allerdings geben sich diese Investoren in der Regel nur mit einer deutlichen Mehrheit zufrieden. Dieser Weg ist häufig schneller und berechenbarer als ein Börsengang. Bei kleineren Börsengängen fehlen schlicht die Investoren.
Bei großen Börsengängen wie dem von Porsche ist Deutschland laut Müller gut aufgestellt – kleine Unternehmen haben es schwerer an Kapital zu kommen. / Foto: Pixabay
Manchmal gehen dann Unternehmen, die erst durch Private Equity finanziert wurden, später doch an die Börse.
Ja, aber das Rendite-Potenzial ist dann in der Regel schon sehr weitgehend von den Private Equity-Investoren realisiert worden. Heute gehen deutsche Unternehmen in der Regel nicht mehr wie vor 20 Jahren an die Börse, um die großen Wachstumsschritte zu finanzieren. Die sind bereits im vorbörslichen Umfeld erfolgt. Und das bedeutet natürlich, dass die Rendite-Erwartungen nach der Börsennotierung entsprechend deutlich schmaler ausfallen.
Ihr Verband kritisiert nun, dass die kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) am Kapitalmarkt neben dem sukzessiven Rückzug von Investoren zusätzlich durch immer neue Nachhaltigkeitsvorschriften benachteiligt werden – und dadurch werde paradoxerweise die Finanzierung des Umbaus zu einer nachhaltigeren Wirtschaft behindert. Was steckt dahinter?
Die börsennotierten Konzerne haben für diese neuen Anforderungen gut ausgestattete Stabsabteilungen und finanzielle Gestaltungsspielräume. Viele dieser Konzerne sind im Nachhaltigkeits-Reporting bereits sehr gut aufgestellt und stellen Daten bereit, auf deren Basis Ratingagenturen externe ESG-Ratings erstellen. Mit diesen ESG-Ratings und den Finanzkennzahlen der Unternehmen treffen Investoren dann ihre Investmententscheidungen. Bei kleineren gelisteten Unternehmen ist das nicht der Fall. Die multiplen Herausforderungen treffen auf ein enges Personalgerüst. Viele KMUs haben gerade Corona und dann die Lieferkettenprobleme überstanden. Jetzt belasten der Krieg in der Ukraine, gestiegene Zinsen und der enge Arbeitsmarkt diese Unternehmen, und zwar deutlich stärker als Großkonzerne. Die KMUs müssen beispielsweise erst einmal Personal finden, das die neuen Vorschriften abarbeitet. Im Vergleich trifft jede Regulierung ein kleines Unternehmen mehrfach stärker als ein großes. Das müssen wir uns immer vor Augen führen.
Wie würden Sie das Problem lösen wollen?
In der DVFA sprechen wir uns dafür aus, dass die Vorschriften im Bereich ESG, also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, nicht nur zeitlich gestaffelt nach Größe der Unternehmen eingeführt werden, sondern dass es auch deutliche Erleichterungen hinsichtlich der Tiefe des ESG-Reportings gibt.
Und um das zu betonen: Es geht uns nicht darum, Nachhaltigkeitskriterien aufzuweichen, sondern darum, die Vorschriften rund um formelle Nachhaltigkeit zu reduzieren, um Berichtspflichten und Formalismen. Das behindert die kleinen und mittleren Unternehmen auf ihrem Weg zu einer nachhaltigen, klimaschonenden Wirtschaft mehr, als es nutzt. Die Europäische Kommission sollte hier fokussiert vorgehen und klare Prioritäten bei den Berichtspflichten von KMU setzten. Manchmal ist weniger mehr.
Die Transformation der Wirtschaft weg von den fossilen Energien, hin zu Net Zero, ist schwierig. Womit werden wir – nun einmal abgesehen vom Klimaschutz – dafür belohnt?
Erneuerbare Energien und die ganze technologische Infrastruktur rund um das Thema Erneuerbare Energien haben potenziell gute Wachstumschancen. Aber wir sprechen hier auch von einem normalen Strukturwandel unserer Volkswirtschaft. Es wird auch volkswirtschaftliche Sektoren geben, die wir zukünftig weniger oder gar nicht mehr benötigen. Es ist also ein Umrüsten der Industrie und kein Kapazitätsaufbau. Das heißt, im Durchschnitt unserer Wirtschaftsaktivitäten werden sich diese Effekte ausgleichen, und wir werden uns nicht auf ein neues Wachstumsniveau schrauben. Aber wir werden zumindest unser Wachstumspotenzial erhalten, das wir uns durch Investitionen in die Transformation erarbeiten. Auch das wäre bereits ein Erfolg. Wir sind eine Wissensgesellschaft, und im grünen Bereich bestehen Wachstumschancen und die Möglichkeit, Geld zu verdienen. Aber um dieses grüne Wachstum zu realisieren, brauchen wir funktionierende Kapitalmärkte, an denen Unternehmen effizient insbesondere Eigen-, aber auch Fremdkapital aufnehmen können, um die notwendigen Investitionen finanzieren zu können.
Andersherum: Was passiert, wenn wir die Transformation zu Net Zero nicht hinbekommen?
Die Klimakatastrophe bedroht auch den Kapitalmarkt. / Foto: Pixabay
Das hätte unter anderem die Konsequenz, dass wir das Pariser Klimaabkommen nicht erfüllen würden. In der Realität werden wir dann nicht nur die 1,5 Grad Erderwärmung erleben, sondern zwei Grad, zweieinhalb, vielleicht noch mehr. Daher: Wir brauchen die Transformation jetzt. Dies ist gerade deshalb so wichtig, weil in bevölkerungsstarken Nationen wie Indien, China und anderen in den nächsten Jahren viele Milliarden Menschen in eine mittelständische Konsumstruktur hineinwachsen werden. Was wiederum mehr CO2-Ausstoß bedeuten wird. Das heißt, wir kämpfen gegen einen vorprogrammierten weiteren CO2-Anstieg.
Gefährdet das heißere Klima auch die Finanzmärkte selbst?
Sicherlich. Das beginnt im Versicherungssektor. Wir werden mehr Umweltkatastrophen erleben. Bestimmte Risiken werden die Versicherer einfach nicht mehr finanzieren oder versichern. Das ist bereits bei uns vor der Haustür, im Ahrtal, zu sehen. Da wird an vielen Orten kein Versicherungsschutz mehr angeboten. Und so etwas wird sich weltweit fortpflanzen. Wenn die Risiken zunehmen, werden sich die Unternehmensbewertungen ändern, und im Extremfall werden Unternehmen aus dem Wirtschaftsprozess ausscheiden. Diese Veränderungen in der Realwirtschaft werden die Finanzmärke entsprechend abbilden.
Die Uhr tickt?
Ja, und es ist ein guter Zeitpunkt, jetzt für Bewegung zu sorgen. Die öffentlichen Haushalte sind angespannt, neue Kredite sind deutlich verteuert, und die Investitionen für die Digitalisierung und die Klima-Transformation sind gewaltig. Es ist jetzt an der Zeit, die Strukturen im Kapitalmarkt deutlich zu verbessern und durch eine teilweise kapitalgedeckte Rente und die Gewinnung langfristiger Investoren wie die Versicherungswirtschaft wieder mehr Mittel für die anstehenden Kapitalerhöhungen an den öffentlichen Märkten zu gewinnen.
Herr Müller, danke für das Gespräch!
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