Arbeiter in einer Goldmine. Nachhaltig in Rohstoffe investieren – geht das? / Foto: Fotolia, chiakto

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Interview: Rohstoffe und Nachhaltigkeit - ist der Widerspruch lösbar?

Nachhaltigkeit und Rohstoffe, das ist eine schwierige Beziehung. Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, Korruption und Umweltverschmutzung bei der Förderung von Edel- und Industriemetallen. CO2-Emissionen bei fossilen Brennstoffen wie Erdöl. Und Spekulationen mit Agrarprodukten wird immer wieder vorgeworfen, Lebensmittel zu verteuern und so Hungersnöte auszulösen. Die Liste, warum börsengehandelte Rohstoffe (Commodities) für ein wirklich nachhaltiges Investment nicht in Frage kommen, ist lang.

Reinhard Friesenbichler will das ändern. Als Geschäftsführer der von ihm gegründeten Reinhard Friesenbichler Unternehmensberatung (rfu) hat der Österreicher mit seinem Team ein Modell entwickelt, das ein nachhaltigkeitsorientiertes Investment in Rohstoffe möglich machen soll. Ein erster Fonds des österreichischen Vermögensverwalters Spängler Iqam Invest wendet das Modell bereits an.

Das Prinzip: Pro Rohstoff gibt es vier Ebenen: „E“ (Abbau und Erzeugung), „N“ (Nutzung), „Ö“ (Ökologie) und „S“ (Soziales). Diese Kategorien werden mit einem Scoring-System von -10 bis +10 Punkten bewertet, aus den Punkten ergibt sich eine Note auf einer Skala von A+ (entspräche +10) bis C- (-10). Diese vier Resultate werden dann – mit unterschiedlicher Gewichtung – zu einer Gesamtnote zusammengeführt. Je besser ein Rohstoff abschneidet, desto höher sein Anteil am Investment. Nur Agrarprodukte sind dabei ausgeschlossen.

Allerdings: Letztlich bleibt ein Ranking von schlecht bis sehr schlecht. Ist das rfu-Modell also überflüssig? ECOreporter sprach mit Reinhard Friesenbichler über die Notwendigkeit zu differenzieren, Chancen auf neue Rohstoffkategorien und warum Terminkontrakte auf Agrarprodukte nicht per se verdammt werden sollten.

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Herr Friesenbichler, mit rfu wollen Sie erstmals eine nachhaltige Bewertung von Rohstoffen möglich machen, ein erster Fonds verwendet Ihre Bewertungen bereits. Was ist der Grundgedanke dabei?

Reinhard Friesenbichler: Wir betreiben schon seit vielen Jahren zwei Nachhaltigkeitsmodelle: Eines für Staaten und eines für Unternehmen, aber im Rohstoffbereich besteht schlichtweg eine Lücke. Es gibt in fast jedem Anlagesegment bereits nachhaltige Produkte, nur für Commodities bislang nicht. Viele Anbieter haben sich abschrecken lassen von der hohen Problematik, mit der das Segment verbunden ist, wie etwa den prekären Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern und den ökologischen Konsequenzen des Bergbaus. Unsere Überlegung war aber: Dass es schwierig ist und das Niveau relativ niedrig sein wird, darf keine Begründung sein, dass man nicht wenigstens versucht, einen differenzierten Blick auf den Rohstoffsektor zu werfen. Dabei war von Anfang an natürlich klar, dass es Unterschiede geben wird und zum Beispiel Heizöl anders abschneidet als Silber oder Platin.


Reinhard Friesenbichler, Gründer und Geschäftsführer von rfu. / Foto: Ian Ehm

Wie genau haben Sie die Kriterien für Ihren Nachhaltigkeitsfilter ausgewählt?

Als Vorbild dient uns unser Unternehmensmodell. Nehmen wir das Beispiel Gold. Für die Rohstoffanalyse gehen wir dann von einem fiktiven Unternehmen aus, das sämtliches Gold weltweit fördert – also quasi eine „Welt Gold AG“ –, und dieses Unternehmen repräsentiert den ethischen und ökologischen Effekt von Gold in dieser Welt.

Warum bewerten Sie dafür nicht einfach die börsennotierten Goldminen?

Aus drei Gründen geht das leider nicht. Erstens ist nicht das gesamte Produktionsvolumen von Gold börsennotiert. Zweitens gibt es einen informellen Sektor, der reicht bis hin zu illegalen Minen unter fürchterlichsten Bedingungen. Und drittens sind die großen Minengesellschaften in der Regel diversifiziert und bauen nicht nur einen Rohstoff ab. Außer Gold dann also beispielsweise noch Kupfer oder Kohle. Wenn man aber eine Top-Down-Perspektive auf einen Rohstoff einnimmt, stellt man fest, dass die Datenlage ziemlich gut ist. Man weiß sehr genau: Aus diesen Ländern kommt der Rohstoff, diese Abbautechnologien werden angewendet, wie viel Metall etwa wird recycelt. In ein fiktives Unternehmen kann ich diese Informationen einspeisen. Es steht dann stellvertretend für die gesamte Wertschöpfungskette.

In Ihre Bewertung beziehen Sie dabei auch die Nutzung eines Rohstoffs mit ein. Wie darf man das verstehen?

Es war uns wichtig zu sagen: Der Weg von beispielsweise Öl endet nicht an der Tankstelle, und der Weg von Gold endet nicht, wenn ein Barren daraus gegossen ist. Es ist ein enormer Unterschied, ob Sie einen Rohstoff dafür nutzen, ihn unter CO2-Freisetzung zu verbrennen, beziehungsweise sich als Luxusgut um den Hals hängen – oder ob Sie ihn benutzen, um ein medizinisch-technisches Produkt mit einem gesellschaftlichen Nutzwert herzustellen. Und das ist das Besondere an unserem Modell, dass die Nutzungsphase auch mitbewertet wird.

Aber wie wiegt man beispielsweise die Verwendung von Silber in Photovoltaik-Anlagen auf gegen mögliche Menschenrechtsverletzungen beim Gewinn dieses Silbers?

Ja, das ist ein Problem. Letztlich in der Weise, in der man es auch beim Nachhaltigkeitsrating von Unternehmen macht: Indem man verschiedene Effekte in ihrer Intensität gewichtet und bewertet.


Rohstoffe auf der rfu-Ratingskala. / Grafik: rfu

Und bei der Bewertung etwa von Abbaubedingungen richten Sie sich nach öffentlichen Quellen?

Ja, da gibt es wunderbare Statistiken. Wir schauen uns etwa an: Wie hoch ist die Arbeitsunfallquote in der Bergbauindustrie in, beispielsweise, China? Es gibt relativ gute Makrodaten zu diesen Aspekten. Oder wir wissen, ein Rohstoff kommt von den Philippinen, und können uns ansehen, wie sind die arbeitsrechtliche Situation und die Entlohnung dort. Diese Kriterien bewerten wir für sämtliche Länder und Regionen einzeln und gewichten sie dann mit ihrem jeweiligen Beitrag zur weltweiten Gesamtmenge des jeweiligen Rohstoffs. Und so verfahren wir dann in anderen Bereichen ebenfalls, etwa Abbautechnik und Recycling.

Bislang gilt der konsequente Verzicht auf Nahrungsmittel und Agrarprodukte in Rohstoff-Portfolios (ex-Agrar) meist als einziges echtes Nachhaltigkeitskriterium. Nun hat etwa ECOreporter erst jüngst über Agraraktien berichtet, bei denen man davon ausgehen muss, dass sie deutlich nachhaltiger sind als in Entwicklungsländern geförderte Metalle. Werden Agrarprodukte zu Unrecht kategorisch ausgeschlossen?

Ich halte diesen Reflex, aus ethischen Motiven Agrarrohstoffe aus Fonds herauszunehmen, grundsätzlich für falsch. Dieser Reflex hat seinen Ursprung vor ungefähr einem Jahrzehnt. Da hieß es, Bio-Diesel lässt den Preis für Mais in Mexiko steigen, sodass sich Menschen dort nicht mehr ausreichend ernähren können. Das mag sogar zutreffen, es hat aber den Fehlschluss ausgelöst, zu sagen: „Ich mache ein Rohstoff-Portfolio sauberer, indem ich mich überhaupt nicht mehr mit dem Thema Agrar-Rohstoffe beschäftige.“ Das halte ich für einen Eskapismus, da davon auszugehen ist, dass auch innerhalb der Agrarprodukte eine ähnliche Differenzierung zu beobachten sein wird, wie sie auch bei den Metallen besteht. rfu ist gerade dabei, Agrar-Rohstoffe zu untersuchen, Ergebnisse werden wohl Ende des Jahres vorliegen. Ich bin selbst gespannt, was der Unterschied sein wird zwischen Mais, Weizen, Rinderhälften & Co.

Sie wollen mit Ihrem Modell also ein nachhaltig orientiertes Investment auch in Agrarprodukte möglich machen?

Ja. In etwa einem halben Jahr werden wir eine Liste der zehn wichtigsten Agrarprodukte mit ihren Nachhaltigkeitsbewertungen vorliegen haben.


Die rfu-Bewertung von Gold im Detail. / Grafik: rfu

Gibt es denn ein Beispiel für ein K.o.-Kriterium, einen Punkt, an dem Nachhaltigkeit bei einem Rohstoff in keiner Weise mehr gegeben ist?

Ausschlusskriterien haben wir bewusst ausgeklammert. Es ist einfach zu schwierig, das Ausmaß der Probleme, die es bei Rohstoffen immer noch gibt, als Umsatzanteil zu quantifizieren. Das ginge bei einzelnen Unternehmen vielleicht noch, aber nicht mehr auf einer globalen Ebene. Unsere Bewertungsskala von A+ bis C- benutzen wir auch für unsere Unternehmensbewertung. Und es zeigt sich, dass die dortige Ratingverteilung in etwa einer Glockenkurve folgt, die um ein bis zwei Ratingstufen besser positioniert ist als jene der Welt der Rohstoffe. Aber auch unter den Rohstoffen gibt es solche, die nicht ganz so schlecht abschneiden und vor allem: die einen Beitrag zu einer nachhaltigen Zukunft - etwa zur Energiewende - leisten.

Welchen Einfluss denken Sie, kann ein Investieren in Rohstoffe auf der Grundlage Ihres Nachhaltigkeitfilters haben?

Vor allem schafft das rfu-Rating die Möglichkeit, dass Rohstoffe differenziert betrachtet werden  – trotz aller Probleme, die es hierbei noch gibt. Viele institutionelle Investoren müssen breit diversifizieren und halten deshalb ein, zwei Prozent Rohstoffe in ihren Portfolios. Und statt pauschal zu sagen „Hier geht es nicht, Nachhaltigkeit zu integrieren“, hilft unser Rating dann doch, etwas zu sehen in dieser relativen Dunkelheit. Der Investor kann sagen: „Ich vermeide das Allerschlimmste.“ „Dunkelgrün“ geht es derzeit nicht, das muss klar sein, aber vielleicht kommen eines Tages neue Rohstoffe dazu.

Was für neue Rohstoffe sollten das sein?

Etwa ein Commodity „Erneuerbare Energie“. Oder „Fair trade Gold“. Wenn Sie einen Ehering kaufen, dann kann der schon heute aus fair gehandeltem Gold geschmolzen werden. Nur als Terminkontrakt gibt es das noch nicht.

Braucht es also eine stärkere Diversifizierung innerhalb der Kontrakte am Markt? Oder halten Sie das für nicht praktikabel?

Ich glaube, dass wir das sehr wohl brauchen und dass der Markt zunehmend nach einer auch ökologischen und sozialen Diversifizierung verlangt. Es gibt viele Investoren, die mit den derzeit undifferenzierten Weltmarktprodukten nicht zufrieden sind. Ich gehe davon aus, dass sich deshalb auch spezifischere Kontrakte entwickeln werden am Markt.

Der Strategic Commoditity Fund von Spängler IQAM Invest ist der erste Fonds, der nach Ihren Nachhaltigkeitskriterien anlegt. Gibt es schon weiteres Interesse institutioneller Anleger an Ihrem Modell?

Der Druck des Marktes und auch von Seiten der Politik und Regulatorik in Richtung Klimaschutz und Berücksichtigung extrafinanzieller Risiken in der Geldanlage nimmt zu.  Und wenn ein Portfolio dahingehend durchleuchtet wird, muss sich der Scheinwerfer eben auch auf das Investment in Rohstoffe richten. Wir stellen nach meinem Wissensstand als Erste ein Instrument zur Verfügung, um Rohstoffe differenziert auf Nachhaltigkeit prüfen zu können.

Herr Friesenbichler, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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