Wie sehen Finanzanalysten die ISS-Übernahme durch die Deutsche Börse unter Nachhaltigkeitsaspekten? / Foto: Pixabay

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ISS-Übernahme durch Deutsche Börse - Experten für transparentes ESG-Scoring

Die Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) hat ihre Mitglieder zu möglichen Auswirkungen der Übernahme des Analyse- und Beratungshauses ISS durch die Deutsche Börse befragt. Im Fokus steht dabei das ESG-Rating.

Im November hatte der Frankfurter Börsenbetreiber Deutsche Börse AG das Analyse- und Beratungshaus Institutional Shareholder Services Inc. (ISS) übernommen. Zu diesem gehört auch die Nachhaltigkeits-Ratingabteilung ISS ESG.

Insgesamt zeigt die Umfrage unter den Finanzprofis nun ein sehr geteiltes Bild. Im Grundsatz jedoch herrscht Einigkeit.

These I, ESG-Scorings seien eine öffentliche, politische Aufgabe, die nicht von gewinnorientierten Unternehmen erarbeitet und verkauft werden sollten, stimmten 19 Prozent der Investment Professionals voll und ganz zu, weitere 30 Prozent stimmten eher zu. Dagegen stimmten 34 Prozent eher nicht zu, und 17 Prozent stimmten der These überhaupt nicht zu. In den Kommentaren wurde auch klar, dass man sich ohnehin nicht blind auf einen Anbieter von ESG-Scorings verlassen dürfe, sondern sich selbst ein Bild zu den ESG-Risiken machen müsse. Es sei am Ende irrelevant, wer ESG-Scorings erarbeite. Wichtig sei allen, dass diese messbar, vergleichbar und zielorientiert sein müssen.

Markt statt Definitionshoheit

Klar abgelehnt wurde These II, ein Börsen- und Indexbetreiber sollte die Definitionshoheit über ESG-Scorings haben. 44 Prozent der Befragten stimmten der These eher nicht zu, weitere 31 Prozent stimmten überhaupt nicht zu, sodass insgesamt drei Viertel aller Befragten die Definitionshoheit ablehnen. Lediglich 3 Prozent stimmten der These voll und ganz zu. Die Kommentare zeigen, dass die DVFA-Mitglieder, statt einer Institution die Definitionshoheit zuzugestehen, auf den Markt vertrauen, auf dem unterschiedliche Scorings konkurrieren und die besten sich durchsetzten sollten.

Das Vertrauen in den Markt zeigt sich in der eindeutigen Reaktion der Experten auf These III, es sei notwendig, für einen diskriminierungsfreien Daten-Zugang und Transparenz der Scoring-Methode zu sorgen, um den Wettbewerb nicht zu behindern. Insgesamt stimmten 92 Prozent der These zu (56 Prozent voll und ganz, 36 Prozent stimmten eher zu). 6 Prozent stimmten eher nicht zu, 3 Prozent stimmten überhaupt nicht zu.

Argumente auch für zukunftsgerichtetes Scoring

Auch These IV, das ESG-Scoring solle sich ausschließlich auf Ist-Daten stützen – also keine Prognosen und Erwartungen über die künftige ESG-Performance des Emittenten einbeziehen -, fand überwiegend Zustimmung. Diese These erhielt Unterstützung bei zwei Drittel aller befragten Investment Professionals: 33 Prozent stimmten voll und ganz zu, weitere 34 Prozent stimmten eher zu. Allerdings stimmten 22 Prozent eher nicht zu, und 11 Prozent stimmten überhaupt nicht zu. Aufschlussreich war auch hier der Blick in die Kommentare.

So wurde der These mehrfach mit dem Argument widersprochen, dass ein Unternehmen, wie beispielsweise ein Atomkraftbetreiber, der sich an den Umbau zum Anbieter erneuerbarer Energien mache, erheblichen Kapitalbedarf habe und mehrere Jahre für die strategische Neuausrichtung brauche. Ein Ist-Scoring wäre somit eine faktische Bestrafung und würde das positive Vorhaben des Umbaus behindern. Daher sollte das Scoring zukunftsgerichtet sein, also genau umgekehrt zur These.

Eine Mehrheit der Befragten stimmte der These V zu, ESG-Scoring sollte von Dritten (zum Beispiel Wirtschaftsprüfern) testiert werden. Voll und ganz stimmten 24 Prozent zu, 38 Prozent stimmten der These eher zu. Dagegen stimmten 29 Prozent eher nicht zu, und 9 Prozent stimmten überhaupt nicht zu.

Zweimal fast gleichgroße Lager

Ein klar geteiltes Meinungsbild ergab die Reaktion auf These VI, es sei mit der Neutralität des Börsenbetreibers Deutsche Börse AG vereinbar, die ISS-Dienstleistungen im Konzernverband anzubieten. 52 Prozent stimmten ihr zu (14 Prozent voll und ganz, 38 Prozent stimmten eher zu). 49 Prozent lehnten sie ab (38 Prozent stimmten eher nicht zu, 11 Prozent überhaupt nicht). In den Kommentaren wurde argumentiert, eine strikte Trennung der Geschäftsbereiche sei entscheidend für die Vereinbarkeit.

Ein ähnlich ausgewogenes Ergebnis auch bei These VII: Die Unabhängigkeit/Integrität des Börsenbetreibers bleibt auch dann gewahrt, wenn im Konzern sowohl essenzielle Dienstleistungen für die Aktionärsseite (Institutional Shareholder Services) als auch für die Emittentenseite (z.B. ESG-Scoring) angeboten werden (Analogie zum Wirtschaftsprüfer). 50 Prozent stimmten der These zu (10 Prozent voll und ganz, 40 Prozent stimmten eher zu). 38 Prozent stimmten der These eher nicht zu, 11 Prozent stimmten überhaupt nicht zu.

Auch hier wurde auf die außerordentliche Bedeutung der Ausgestaltung der Befugnisse und der Organisationsstruktur hingewiesen, unter der die Unabhängigkeit gewährleistet sein könne. Wichtig sei zudem, dass der Börsenbetreiber seine öffentlich-rechtliche Funktion nicht schleifen lasse, weil mit anderen Geschäftseinheiten mehr Rendite erwirtschaftet werden könne.

Ein deutlicheres Meinungsbild ergab sich wieder bei These VIII: Wenn im Konzernverbund sowohl Dienstleistungen für die Aktionärsseite (Institutional Shareholder Services) als auch für die Emittentenseite (z.B. ESG-Scoring) verkauft werden, sind Interessenkonflikte nicht zu vermeiden. 25 Prozent stimmten der These voll und ganz zu, 43 Prozent stimmten zumindest eher zu. 27 Prozent hingegen lehnten sie eher ab, 5 Prozent stimmten überhaupt nicht zu. Auch hier wurde argumentiert, "Chinese Wall"s seien eine unverzichtbare Voraussetzung, um mit den Interessenkonflikten umzugehen.

Hohe Bedeutung des ESG-Scorings

„Der hohe Rücklauf bei der Befragung und die zahlreichen Kommentare zeigen, dass das Thema ESG und damit verbunden das ESG-Scoring von außerordentlicher Bedeutung für eine erfolgreiche Zukunft des Kapitalmarkts ist“, sagt Christoph Schlienkamp, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des DVFA. „Die Mitglieder stehen mehrheitlich der Auffassung entgegen, dass ein Börsen- und Indexbetreiber die Definitionshoheit über ESG-Scorings haben soll. Die Mehrheit der DFVA-Mitglieder sieht zudem potenzielle Interessenkonflikte zwischen den Dienstleistungen für die Aktionärs- und Emittentenseite. Hier ist die Deutsche Börse deutlich gefordert, transparente Chinese Walls zu implementieren, um immanenten Interessenskonflikten aus dem Weg zu gehen.“

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