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Erneuerbare Energie, Meldungen, Fonds / ETF
EU: Atomkraft und Gas sind nachhaltig - was bedeutet das für grüne Geldanlagen? Der komplette Hintergrund
Die EU-Kommission hat heute wie erwartet Kernkraft und Erdgas als grüne Energien eingestuft. Damit fällt die sogenannte EU-Taxonomie deutlich weniger streng aus als ursprünglich vorgesehen. Klimaschädliche Finanzprodukte lassen sich jetzt noch leichter als grüne Investments verkaufen.
Die EU-Taxonomie legt unter anderem fest, welche Wirtschaftszweige als nachhaltig bezeichnet werden dürfen. Das soll es Anlegerinnen und Anlegern erleichtern, grüne Geldanlagen von herkömmlichen zu unterscheiden. Für die Finanzindustrie ist es lukrativ, ihre Produkte als taxonomiekonform zu bewerben: Die Nachfrage nach nachhaltigen Investments ist groß, und viele institutionelle Investoren wie etwa Stiftungen dürfen nur in sozial-ökologische Finanzprodukte anlegen. Eine Übereinstimmung mit der Taxonomie kommt einem grünen Siegel gleich – nur dass sich hinter diesem Siegel nun auch Gas- und Atomkraftwerke verstecken dürfen. Diese profitieren künftig von Finanzierungsvorteilen, die eigentlich eher für Wind- oder Solarparks gedacht waren.
Die Ratschläge der eigenen Experten ignoriert
Kernenergie und Erdgas sind nachhaltig? Selbst die wissenschaftlichen Empfehlungen der eigens von der Europäischen Kommission eingesetzten Technischen Expertengruppe sehen das anders. Die EU-Kommissarin Mairead McGuinness hat in einer Pressekonferenz heute Mittag erläutert, dass Gas und Atomenergie den Übergang zu einer klimafreundlichen Wirtschaft erleichtern sollen. Private und öffentliche Finanzinstitute wie die Europäische Investitionsbank könnten ja auf freiwilliger Basis eigene Leitlinien für Gas und Kernenergie befolgen, so die Politikerin.
In den letzten Wochen hatten viele vor einem Greenwashing der Finanzbranche gewarnt, darunter auch die Institutional Investors Group on Climate Change, der neben BlackRock, der Allianz und DWS fast 400 weitere Mitglieder angehören, das Green and Sustainable Finance Cluster Germany, mehrere EU-Mitgliedstaaten, führende Europaabgeordnete, die Europäische Investitionsbank, Denkfabriken und Klimabewegungen wie Fridays for Future.
Die neue deutsche Regierung hatte sich gegen die Aufnahme von Atomkraft in die Taxonomie ausgesprochen, setzt sich aber für eine grüne Kennzeichnung von Gaskraftwerken ein – wie sollte sonst auch die neue Nordstream-Gaspipeline zu rechtfertigen sein? Gemunkelt wurde, es habe einen deutsch-französischen Deal gegeben: Ihr behaltet Atomenergie als klimafreundlich, wir das Erdgas. Widersinnig dabei: Etliche Gaskraftwerke in Deutschland sind bereits komplett oder zeitweise außer Betrieb. Und wer nachhaltig auch mit „dauerhaft“ übersetzt, kann Erdgas nicht nachhaltig nennen – es ist ein nur begrenzt vorhandener Rohstoff.
Was genau besagt der Vorschlag der EU-Kommission über Gas?
Neue Gaskraftwerke dürfen noch bis 2030 mit grünem Geld finanziert werden. / Foto: EDP
Die EU-Kommission hat nun entschieden, dass Gaskraftwerke mit einer Baugenehmigung bis Ende 2030 als nachhaltig gelten können, wenn sie die folgenden Anforderungen erfüllen: Ihre direkten Treibhausgasemissionen (THG) überschreiten nicht 270 Gramm Kohlendioxid-Emissionen pro Kilowattstunde, oder ihre jährlichen Treibhausgasemissionen überschreiten nicht den Durchschnitt von 550 Kilogramm Kohlendioxid pro Kilowatt der Ausgangsenergie bei einer auf 20 Jahre bemessenen Anlagenkapazität.
Diese Schwellenwerte liegen weit oberhalb der wissenschaftlich fundierten Empfehlungen der Technischen Expertengruppe der Kommission. Die neue Regelung ermöglicht es, neue konventionelle Gaskraftwerke als nachhaltige Investitionen zu betrachten. Dies macht den eigentlichen Zweck der Taxonomie zunichte, Investoren mit transparenten Maßstäben als Entscheidungshilfe für ESG-konforme Investitionen zu helfen.
Die Tatsache, dass die zulässigen Emissionen über einen Zeitraum von 20 Jahren gemittelt werden, schafft zudem ein Schlupfloch: Ein Projekt, das im Jahr mehr als 550 Kilogramm Kohlendioxid pro Kilowatt ausstößt, kann immer noch der Taxonomie entsprechen, wenn die Entwickler versprechen, die Emissionen im Laufe der Zeit zu senken.
Die heute veröffentlichte Regelung der EU bleibt zudem hinter den Vorschlägen zurück, die noch vor kurzem durchgesickert waren. Denn im Entwurf davor hieß es noch, Gaskraftwerke sollten ab 2026 schrittweise mehr kohlenstoffarme Gase verbrennen und bis 2035 einen 100-prozentigen Anteil an kohlenstoffarmen Gasen erreichen. Im heutigen Vorschlag entfällt das Datum 2026, und die Vorschrift lautet nur noch, bis 2035 100 Prozent kohlenstoffarme Gase zu verbrennen. Damit ist das einzige durchsetzbare Kriterium vor 2030 weggefallen, was wohl auch am Änderungsantrag der deutschen Regierung liegt.
Während im vorherigen Entwurf vorgeschlagen wurde, dass neue Gaskraftwerke im Vergleich zu den Anlagen, die sie ersetzen, eine Treibhausgasreduzierung von 55 Prozent pro kWh erzeugter Energie bewirken sollten, gilt die 55-prozentige Treibhausgasreduzierung im endgültigen Text für die gesamte Lebensdauer der Anlage. Auch hier hatte die deutsche Regierung auf eine Festlegung “realistischer Werte” gedrungen.
Das Fazit von Sandrine Dixson-Declѐve, Co-Präsidentin des Club of Rome, ist ernüchternd: "Dies ist ein Akt der Täuschung der europäischen Investoren und Bürger. Dieser Vorschlag fördert nicht nur das Greenwashing, er verdrängt auch echte Investitionen in nachhaltige Energie.“
Wie geht es weiter?
Die EU-Regierungen und das Europäische Parlament haben in den nächsten vier bis sechs Monaten noch die Möglichkeit, in absoluten Mehrheitsentscheiden ein Veto gegen den Vorschlag einzulegen. Es wird erwartet, dass der wichtigste politische Kampf im Europäischen Parlament stattfinden wird, wo zahlreiche Abgeordnete bereits zum Ausdruck gebracht haben, dass sie sich von der Europäischen Kommission übergangen fühlen. Der delegierte Rechtsakt wird automatisch zu EU-Recht, wenn keine der beiden Institutionen ihn aktiv blockiert. Fachleute halten Mehrheiten gegen den aktuellen Taxonomie-Entwurf für unwahrscheinlich.
Was bedeutet die neue Taxonomie für die nachhaltige Geldanlage?
Zunächst einmal ist es ein verheerendes Signal an die Finanzbranche, wenn ausgerechnet die EU-Kommission Kernenergie und Gas als nachhaltig deklariert. Jahrzehntelang hatten Investoren mehrheitlich auf diese beiden Energien gesetzt, ein flächendeckendes Abwenden begann erst vor wenigen Jahren. Nun dürften sich die Stimmen mehren, die wieder zurückrollen wollen. Besonders einfach wird das bei Sondervermögen von Banken, Versicherungen und Pensionskassen sein, da diese Milliardenvermögen nicht veröffentlicht werden. Die Investoren können hier behaupten, gemäß der Klima-Taxonomie zu investieren – und auf Atomkraft und Gas setzen, ohne dass das jemand mitbekommt. Bei nachhaltigen Fonds und ETFs ist es etwas anders: Deren Inhalte müssen veröffentlicht werden, und hier wird beispielsweise ECOreporter prüfen, ob die Aktien und Anleihen nur grün gewaschen sind oder doch frei von Kernenergie und Gas. Viele in Deutschland erhältliche nachhaltige Fonds schließen Investments in Atomenergie aus, einige auch Gas. Es ist zu erwarten, dass solche Anbieter den Rückschritt der EU nicht mitmachen werden. Letztlich müssen Anlegerinnen und Anleger selbst entscheiden – auf eine Einordnung der Finanzprodukte als nachhaltig oder nicht durch die EU ist gerade nach der neuen Regelung kein Verlass.
Mittlerweile gibt es auch einige ETFs, die ganz ohne fossile Energien auskommen. Die Redaktion hat hier mehr als 60 als nachhaltig beworbene ETFs untersucht.
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15.01.25
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